Lebensbilder I (German Edition)
Dasein zu fristen. Von anderer Güte leben mag ich nicht, betteln und betrügen kann ich nicht, viel leichter kann und will ich sterben. Freilich, alles wäre so nicht gekommen, hätte ich verstanden, wider mein Gewissen zu handeln. Aber mein böses Schicksal hat mich mit Herz und Geist begabt; darum kann ich dem Leben nicht dienen, wie alle andern, die von diesem kaltsinnigen Dämon sich zu Sklaven und Schurken machen lassen. Ich bin bettelarm, bin ein Dichter! folglich bin ich in der menschlichen Gesellschaft nichts wert, denn nichts kann ich nützen. Aber mein Leichnam wird mit 50 Franken bar bezahlt, und ich erzeige dem armen Bootsmann, der mich findet, eine Wohltat und belehre die jungen Ärzte, die mich zerschneiden. Wohltun und belehren! Im Leben wollt' ich's gern und konnte nicht! Ein Selbstmord – je nun, in Paris ist's keine Sache von Wichtigkeit und Belang. Es geschieht wohl!«
Unter diesem Selbstgespräch war er bis zur Ecke des Quais gelangt und stieg die Stufen hinab, die das Trottoir dort bildet.
»Bester Herr! – einen Sous zu Brot!« rief eine klägliche Stimme.
»Ein Almosen, bester Herr!« tönte dumpf und heiser eine andere Stimme.
Mechanisch hatte der Jüngling seine Hände in die Tasche gesteckt, wo einige Sous noch leise klimperten. Er warf das Geld den Bettlern hin, welche beide riefen: »Der Himmel erhalte Sie!«
»Bis es dunkelt! damit ich's vollbringe ohne die Menschenliebe, die auf der Seine schwimmt!« fügte er hinzu.
Wenige Schritte weiter, vor dem Laden eines Kunsthändlers, hielt eine glänzende Equipage. Eine hohe Gestalt schwebte den niedergeschlagenen Tritt hinunter; der Herbstwind, der durch ihre Gewänder flatterte, verriet die edelsten Formen. Ein göttergleiches Antlitz war künstlerisch in den Rahmen eines rosenfarbenen Seidenhuts gefaßt. Sie blickte den Jüngling an; er kannte sie, denn ein glühendes Rot färbte seine Wange. War es Liebe oder Zorn, oder Scham, was ihm das Blut ins Antlitz jagte? – Liebe gewiß, und Scham und Zorn über seine Liebe, die im letzten Augenblick seines Daseins noch Gewalt hatte über ihn. »Und wenn sie mein Erröten bemerkte, und wenn sie meinen Tod erfährt? – so wird sie einen Triumph mehr zählen, einen neuen Sieg feiern zu den vielen alten; sie wird in den Spiegel sehen und sagen: ›Ich muß heut recht hübsch ausgesehen haben.‹ Und aus ist's mit mir, und in der Welt bleibt alles beim alten! Jetzt! jetzt ist alles gut!« jauchzte er innerlich auf. Sein Geist stand an der Grenze der Trübseligkeit und hatte plötzlich den Mut zur finstern Tat in der Verzweiflung gefunden.
Ohne zu wissen, was er tat, folgte er der Schönen in den Laden. Mit dem leichten und nachlässigen Anstande eines Engländers, der Millionen zu verschwenden hat, trat er ein.
«Ich wünsche, das ganze Magazin in Augenschein zu nehmen, vielleicht daß irgend etwas Seltenes oder Außerordentliches mir ansteht.«
»Sogleich, mein Herr!« erwiderte der Ladendiener, ein pausbackiger, rothaariger Bursche. »Sehen Sie sich indes nur hier um; ich werde Sie sogleich eine Treppe höher führen, wo wir die besten und seltensten Sachen stehen haben.« Nach dieser merkantilischen Antwort wandte er sich wieder zur Dame, die einige Stammbuchblätter und Lithographien kaufte.
»Ein Leonardo da Vinci?« fragte der Jüngling, indem er auf ein Ölgemälde, einen flüchtig in Farbe gesetzten weiblichen Kopf, deutete. »Ein Studium von diesem Meister oder einem seiner Schüler!«
»Ein Leonardo da Vinci!« antwortete der Ladendiener. »Der Herr sind Kenner!«
»O heilige Wahrheit der Kunst!« rief der Jüngling in wilder Laune. »Sehen Sie, Madame,« wandte er sich mit spöttischer Höflichkeit zur Schönen; »welche klaren Blicke der Unschuld, die Jungfräulichkeit und Seelenreinheit hier in Farbe und Gestalt! O sagen Sie nicht, hier sei Schönheit und Tugend mit toten Farben hingeheuchelt! Diese Schönheit«, fuhr er fort, indem er seine Worte stark betonte, »lebt im Geiste, diese Unschuld ward vom Künstler wirklich empfunden. Stellen Sie eine lebende Schönheit neben das Bild, und was ist sie? Eine Fleischform ohne Geist, gebildet durch Meister Zufall, ja wahrlich vom Zufall! Die Natur hat Schönheit nicht geschaffen zum Kokettieren, Witz nicht, um damit den Nächsten zu lästern, Keuschheit nicht, damit Habsucht, Selbstsucht ein Konservationsmittel für alternde Reize daraus mache. Denn wär' es Absicht der Natur, den schlechtesten Kern in eine gleißende Hülle zu
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