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Lebensbilder I (German Edition)

Lebensbilder I (German Edition)

Titel: Lebensbilder I (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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ihren Füßen ruhen antidiluvianische Fossilien, die Sie keines Blickes würdigen!«
    »Was enthält dieser Schrank?« fragte gedankenlos der Jüngling und deutete auf einen Schrein von Ebenholz, der mit einer starken silbernen Kette von der Decke herabhing. »Der Herr hat den Schlüssel dazu,« sprach der Bursche mit wichtigen Mienen: »wollen Sie diesen Raffael sehen, so wage ich es, Ihre Wünsche meinem Herrn mitzuteilen.«
    »Sie wagen es?« fragte der Jüngling: »ist Ihr Herr ein Prinz?«
    »Aber ich weiß nicht!« – stammelte der Bursche, indem er den Unbekannten zweifelhaft anblickte, und da dieser schwieg, fügte er hinzu: »Der Raffael ward mit Goldstücken schon dreimal bedeckt und selbst für diesen Preis nicht losgeschlagen.« Jener indes schwieg immerwährend und saß nachlässig und gleichgültig da. Somit blieb dem Burschen nichts übrig, als seinen Herrn zu rufen, ob dieser mit dem seltsamen Fremden besser zurechtkommen würde. Er ging.
    Der Jüngling blieb allein. Mit rötlichem Strahle blickte die untergehende Sonne in die Säle. »Bald ist es Zeit!« seuzte er bebend. – Da schien ein seltsames Leben aus dem magischen Lichte sich zu gebären; alles glänzte dem einsamen Anschauer wundersam entgegen und regte sich, lebte, grinste, kroch und schlängelte sich mit tausend Gliedern ihm entgegen. Dazwischen blickten holde Jungfrauenköpfe zärtlich ihn an: Steinbilder schossen aus den apfellosen Augen tote Blicke auf ihn, und alles bereitete sich, einen gemeinsamen Seufzer auszustoßen und dann in Moder zu verfallen; – da schwanden ihm die Sinne. Seine durch Leid, Aufregung, Gram und Hunger erschöpften Lebensgeister unterwarfen sich dem Schlummer willenlos.
    Plötzlich weckte ihn eine Donnerstimme; er schlug die Augen auf, und vom Glanze, der ihm entgegenschlug, geblendet, mußte er sie augenblicklich wieder schließen.
    Eine silberhelle, spiegelblanke Ampel warf ihre weißen Strahlen gerade auf sein Antlitz; ein Greis hatte sie mit dürrem Arm erhoben, um seine Züge genau zu prüfen.
    Es war eine kleine dürre Gestalt in einem schwarzsammetnen Gewande, das ein silberner Gürtel um den Leib befestigte. Eine Kapuze von schwarzem Sammet war über das Haupt gezogen, ließ aber von allen Seiten die starken schneeweißen Locken hindurch, die samt dem gleichfarbigen Barte bis zum Gürtel hinabreichten. Seine Lippen waren so blaß und dünn, daß es besonderer Aufmerksamkeit bedurfte, die Umrisse des schmalen Mundes zu entdecken. Die grünlichen Augen blickten lebhaft und mit unheimlicher Festigkeit und Kälte. Der Betrachtete fühlte von diesen Blicken sich durchschaut und in all seine Einzelheiten zergliedert; – war es zu verwundern, daß der Jüngling von solcher Erscheinung, die einem gotischen Sarkophage oder einer ägyptischen Mumienhülle oder einem griechischen Aschenkruge entstiegen zu sein schien, plötzlich aus seinem Schlafe geweckt, sich in die Ammenmärchen seiner Kindheit versetzt glaubte und sich ernstlich fragte: – wie ist das möglich, wie kann dergleichen wirklich geschehen im neunzehnten Jahrhundert, in Paris, auf dem Quai de Voltaire, ein Name, der schon hinreicht, Visionen zu leugnen?
    »Der Herr wünschen, meinen Raffael zu sehen?« fragte höflich der Greis und stellte seine Lampe auf den Torso einer Säule, daß der ganze Strahl auf den Schrein von Ebenholz fiel. Hierauf drückte er an eine Springfeder und geräuschlos schob der Deckel sich fort. – »Für diese unsterbliche Schöpfung Raffaels«, sprach er, »ist mir bereits so viel Gold geboten, daß ich dreimal damit das Gemälde bedecken kann. Und Sie? Besitzen Sie Vermögen genug, solch' seltene Kostbarkeit zu erstehen?«
    Aber der Jüngling sah, daß die Nacht völlig angebrochen war. »Wohlan denn,« sprach er, »es gilt zu sterben!«
    »Mörder!« schrie der Greis, diese Worte mißdeutend und packte erschrocken die Hände des Jünglings, der auf keine Weise Widerstand leistete, sondern wehmütig sprach: »Lassen Sie mich los! Nur mein Leben gilt's, nicht das Ihre! Ich habe nur die Nacht herangewartet, um es sicherer zu vollbringen. Vergeben Sie einem Freunde der Kunst und einem Dichter, daß er seine letzten qualvollen Augenblicke hier zu vollbringen suchte.«
    Der argwöhnische Greis betrachtete aufmerksam das Angesicht seines seltsamen Kundmannes; die edlen Züge, verschönt durch Schmerz, die weiche, herzergreifende Stimme beruhigten ihn endlich. Langsam ließ er ihn los, lehnte sich vorsichtig an einen

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