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Lebenschancen

Lebenschancen

Titel: Lebenschancen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffen Mau
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Population entwickelte der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Robert Malthus bereits am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhun
dert die These, dass die Wohlfahrt der gesamten Gesellschaft und das Glück aller letztlich am Zustand der Mitte hängen:

    »Wenn wir die verschiedenen Staaten Europas betrachten, so werden wir einen sehr beträchtlichen Unterschied gewahr in dem relativen Verhältnis der oberen, mittleren und unteren Klassen der Gesellschaft. Die Folgen dieses verschiedenen Verhältnisses scheinen uns zu berechtigen, unsere Hoffnung einer Zunahme des allgemeinen Glücks der menschlichen Gesellschaft vornehmlich auf die Aussicht zu begründen, dass die mittleren Volksklassen relativ wachsen mögen […]. Wenn die Zahl der zur niederen Klasse gehörigen solcherart vermindert, der zur mittleren Klasse zu rechnenden vermehrt wäre, so hätte jeder Arbeiter gerechte Hoffnung, durch Fleiß und Betriebsamkeit in eine bessere Lage sich aufzuschwingen, die Lotterie der menschlichen Gesellschaft würde aus mehreren Gewinnern und nur wenigeren Nieten bestehn und die ganze Summe gesellschaftlichen Glücks würde offenbar nicht wenig vermehrt werden.« (1807: 303 f.)

    Bei Malthus ist es also die berechtigte Hoffnung auf individuellen Aufstieg, die den Leistungswillen frei- und eine kollektive Dynamik in Gang setzt, von der möglicherweise auch andere Gruppen profitieren. In Max Webers Protestantischer Ethik (1920) geht es dann weniger um die Motivation, als vielmehr um Fragen der allgemeinen Lebensführung. Weber präsentiert die Vorstellung eines spezifisch modernen, vom Protestantismus beeinflussten Wirtschaftsethos, das die kapitalistische Entwicklung erst möglich gemacht und später beflügelt habe. Im Auge hat Weber dabei in erster Linie den gewerblichen Mittelstand. Für diesen hätten weniger das kompromisslose Gewinnstreben und die unmittelbare Befriedigung von Konsumwünschen im Mittelpunkt gestanden als vielmehr eine »Pflicht zur Genügsamkeit«, Fleiß und die Orientierung an langfristigen wirtschaftlichen Erfolgen. Daher habe man erwirtschaftete Gewinne nicht einfach sofort ausgegeben, sondern akkumuliert und reinvestiert. In der Folge Webers wird der Mittelschicht bis heute die Be
reitschaft zum »Gratifikationsaufschub« nachgesagt. Dieser Begriff bezeichnet in der Psychologie die Fähigkeit, zugunsten (unter Umständen deutlich größerer) langfristiger Erfolge auf Freuden und Belohnungen in der unmittelbaren Gegenwart zu verzichten. Ausdauer, Dranbleiben, langfristiges Planen werden höher bewertet als unmittelbare Zerstreuung und schneller Konsum.
    Ein weiterer Aufhänger, um die volkswirtschaftliche Bedeutung der Mittelschicht zu verstehen, ist die Rolle der Bildung. Mittelschichtlern unterstellt man häufig hohe Bildungsaspirationen. Für sich und ihre Kinder streben sie höhere Bildungsabschlüsse an, da diese eine Grundvoraussetzung dafür darstellen, um den Status erhalten oder gar verbessern zu können. In einer gebildeten Mittelschichtfamilie ist es so gut wie ausgeschlossen, dass die Eltern den Kindern vom Besuch einer Universität abraten, sofern diese in der Schule zumindest halbwegs gute Leistungen erbringen. Vielmehr setzen die Eltern alles daran, dass die Grundschullehrer eine Gymnasialempfehlung aussprechen und dass die Kinder später mit einem Hochschulabschluss ins Berufsleben starten. Diese Bildungsorientierung ist heute allerdings nicht länger auf die akademische Mittelschicht beschränkt, sondern auch im Milieu der Facharbeiter, mittleren Angestellten und der technischen Berufe weitverbreitet. Bildung ist für die meisten Mittelschichteltern allerdings nicht nur der Schlüssel zu einem attraktiven Beruf mit hohem Einkommen, sondern auch ein Wert an sich. Die Bildungsorientierung gehört insofern zum Habitus der Mitte. Mittelschichteltern (vor allem akademisch gebildete) wollen für ihre Sprösslinge nicht nur ökonomische »Bildungsrenditen« erzielen, es geht ihnen zugleich um soziale und kulturelle Kompetenzen und Teilhabechancen. Für die Gesellschaft insgesamt bedeutet das: Je breiter die Mitte, desto größer ist insgesamt die Orientierung auf die Aneignung und Steigerung von Wissen und Kompetenzen. Ein Land wie Deutschland, das nur über bescheidene natürliche Ressour
cen verfügt, ist auf eine qualifizierte Bevölkerung angewiesen, da allein diese für anhaltend hohe Produktivität bürgt.
    Schließlich spielt die Mitte auch eine spezifische Rolle beim Konsum. Über die

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