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Lebenschancen

Lebenschancen

Titel: Lebenschancen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffen Mau
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Angehörigen dieser Schicht heißt es oft, sie seien bereit, für bessere Qualität auch mehr zu zahlen. Sie stehen insofern für das Gegenteil von »Geiz ist geil«. Sie verfügen über den nötigen finanziellen Spielraum für langlebige Produkte mit ansprechendem Design, hochwertiger Ausstattung und Verarbeitung und haben ein ausgeprägtes Markenbewusstsein. Werner Sombarts Studie Liebe, Luxus und Kapitalismus (1992 [1913]) enthält die originelle These, die Entstehung des modernen Kapitalismus zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert hänge mit der Herausbildung eines Marktes für Luxusgüter zusammen, die vor allem von einkommensstarken Gesellschaftsschichten gekauft worden seien. Luxuskonsum, getragen von einem entstehenden »bürgerlichen Reichtum«, wird als marktbildende und dem Handel sowie der Produktion förderliche Kraft angesehen. Der rasante Aufstieg Chinas und Indiens scheint diese Überlegung zu bestätigen: Auch dort entsteht eine neue, kaufkräftige Mittelschicht, die Flachbildfernseher, Autos und Kühlschränke nachfragt und damit die wirtschaftliche Dynamik bestimmt. Aus ökonomischer Wachstumsperspektive ist Qualitätskonsum in der Breite zudem wichtig, weil nur dann die einheimische Produktion hochwertiger Güter angeregt wird, die auf dem Weltmarkt erfolgreich sein können. Wenn die Bevölkerung im Durchschnitt sehr arm ist, werden hingegen eher billige und minderwertige Waren produziert, die sich im Ausland kaum verkaufen lassen, was wiederum die Rückständigkeit eines Landes zementieren kann (Murphy et al. 1989).
    Diese Ausführungen zum Konsum der Mittelschicht widersprechen in gewisser Weise Max Webers Überlegungen zum Arbeitsethos und zur Fähigkeit zum Gratifikationsaufschub. In manchen westlichen Ländern, allen voran in den USA , haben Teile der Mittelschicht tatsächlich den Konsum auf Pump zu ih
rem Lebensstil gemacht und damit eine Spekulationsblase ausgelöst. Die Sparquote sank, die Kreditkarten- und Immobilienschulden nahmen drastisch zu. Hier deutet sich eine grundsätzliche Ambivalenz im Verhältnis zwischen Mittelschicht und modernem Kapitalismus an. Pflichterfüllung kann zwar mit dem Wunsch nach Genuss konfligieren, allerdings wird beides gebraucht: Der fleißige, pünktliche und folgsame Arbeitnehmer ebenso wie der hedonistische und freizeitorientierte Konsument. Der amerikanische Soziologe Daniel Bell hat schon in den siebziger Jahren die These vertreten, mit dem Aufkommen des Massenkonsums würden die grundlegenden Werte des Kapitalismus, also die protestantischen Tugenden, untergraben und durch neue Motivationen und Ideale ersetzt. Bell: »Vorankommen heißt heute nicht mehr – wie das noch im 19. Jahrhundert der Fall war – Aufstieg auf einer sozialen Stufenleiter, sondern Übernahme eines bestimmten Lebensstils […], der einen als Mitglied einer Konsumgemeinschaft ausweist.« (1990 [1976]: 86) Eine Mittelschicht, die nur arbeitet (und nicht konsumiert), scheint ebenso problematisch wie eine Mittelschicht, die nur konsumiert (und nicht arbeitet).
    Allerdings hat sich Bells Prophezeiung bis heute nicht bewahrheitet, das Arbeitsethos ist der Mittelschicht keineswegs abhanden gekommen. Stattdessen können wir Folgendes beobachten: Wenn wir mehr verdienen und es uns somit im Prinzip leisten könnten, weniger zu arbeiten, um unser Konsumniveau zu halten, nutzen wir die Einkommenszuwächse gerade nicht, um mehr Freizeit zu konsumieren, im Gegenteil. Je höher das Gehalt, desto mehr arbeiten die Menschen. In höheren Positionen gibt es weniger Gelegenheiten, reduziert zu arbeiten. Andererseits steigen auch die Opportunitätskosten der Freizeit, und es wird immer »teurer«, nicht Vollzeit zu arbeiten (Conley 2009: 94). Das heißt: Wenn wir mehr verdienen, wird zugleich der (theoretische) Einkommensverlust größer, den wir hinnehmen müssten, wenn wir weniger arbeiten würden. So kommt es, dass
auch in der Mitte trotz steigender Einkommen und wachsender Konsum- und Freizeitmöglichkeiten die Orientierung auf Arbeit und Erwerb anhält. Konsum und Arbeit müssen also nicht in unterschiedliche Richtungen weisen. Die Mitte tendiert eher dazu, mehr zu arbeiten und mehr zu konsumieren, nimmt dafür allerdings Einbußen bei der Freizeit in Kauf.
    Die Stabilitätszone der Mitte
    Die Mittelschicht war lange Zeit kein großes Thema in den politischen Diskussionen der Bundesrepublik, immerhin galt sie ja vielen als zuverlässige und »robuste Stabilitätszone der Gesellschaft«

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