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Lebenschancen

Lebenschancen

Titel: Lebenschancen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffen Mau
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Einkommensungleichheit, lag hierzulande 2005 um sieben bis acht Prozent höher als Mitte der achtziger Jahre. Zwischen 2005 und
2009 gab es noch einmal einen deutlichen Anstieg (Goebel et al. 2009, SOEP Monitor 2010). Diese Polarisierung lässt sich zum einen darauf zurückführen, dass die Besserverdienenden sich von der Mitte abgesetzt haben, zum anderen darauf, dass die unteren Einkommensgruppen abgehängt wurden. Die Relation der Einkommenssumme derjenigen im oberen Einkommensfünftel zu denjenigen im unteren Fünftel ist zwischen 1999 und 2009 von 3,6 auf 4,3 gestiegen ( ISG 2011: 17). Die Politik hat diese Entwicklung nicht gebremst, im Gegenteil. Die höheren (und ganz hohen) Einkommen wurden steuerlich massiv entlastet (der Spitzensteuersatz sank beispielsweise in mehreren Stufen von 56 Prozent im Jahr 1990 auf 42 Prozent). Die Mehrwertsteuer, die die kleinen Einkommen besonders belastet, wurde dagegen erhöht. Für die USA , wo die Polarisierung noch wesentlich dramatischer zugenommen hat, sprechen Jacob Hacker und Paul Pierson (2010) von einer politisch gewollten Öffnung der Ungleichheitsschere und einer daraus folgenden »Hyperkonzentration« der Einkommen im Top-Segment (also bei dem berühmten einen Prozent, welches inzwischen ein Viertel des gesamten nationalen Einkommens bezieht und seinen Einkommensanteil damit in 25 Jahren mehr als verdoppeln konnte). Das erklärt auch den auf den ersten Blick paradoxen Befund, dass Bezieher besonders hoher Gehälter nach wie vor den größten Teil der Einkommenssteuer zahlen, obwohl ihr Steuersatz drastisch gefallen ist – ihre Entgelte sind einfach derart steil in die Höhe geschossen. Andere Gruppen stagnieren dagegen auf niedrigem Niveau.
    Die wachsende Ungleichheit hängt aber auch mit veränderten Bildungs- und Partnerschaftsmustern zusammen. Gemessen an den fünfziger oder sechziger Jahren erwerben immer mehr Frauen die Hochschulreife, sie studieren, und ihre Erwerbsbeteiligung nimmt zu. Zusammen mit der sogenannten »Homogamie-Neigung« (Menschen suchen sich häufig Partnerinnen und Partner mit vergleichbarem Bildungshorizont oder Beruf) führt
das dazu, dass die Ungleichheit zwischen einzelnen Haushalten weiter akzentuiert wird (Blossfeld 2007, Schröder 2011). Im Rahmen der klassischen »Hausfrauenehe« lebten in der Regel ein besser verdienender Mann und eine Frau ohne eigenes Einkommen zusammen. Teilte man dieses durch die Anzahl der Haushaltsmitglieder, relativierte sich das hohe Gehalt des Mannes. Wenn nun allerdings eine hoch qualifizierte Frau mit einem attraktiven Job einen ebenfalls gut verdienenden Mann heiratet, sieht die Sache natürlich ganz anders aus. Kurz: Wenn Gutverdiener und Geringverdiener jeweils unter sich bleiben, öffnet sich die Ungleichheitsschere.
    Die wichtigsten Ursachen für das Anwachsen der Ungleichheit sind jedoch die Entwicklung des Arbeitsmarkts und die zunehmende Lohnspreizung. Nach einer langen Phase relativer Stabilität der Lohnabstände gibt es nun wachsende Disparitäten, wobei neben der Stagnation der Mitte die Aspekte der Armut trotz Vollbeschäftigung (»working poor«) und die »Abkopplung der ›happy few‹ am oberen Ende der Ressourcenverteilung« (Diewald 2010: 218) zu den zentralen Problemen gezählt werden können. Sowohl innerhalb als auch zwischen den Berufsgruppen nehmen die Unterschiede zu (Giesecke/Verwiebe 2009: 540). In diesem Zusammenhang ist ein zunehmendes Auseinanderdriften der Regionen von Relevanz, was als »Regionalisierung sozialer Ungleichheit« bezeichnet werden kann. Die Formel gleicher Lohn für gleiche Leistung stimmt nicht mehr, weil die Höhe des Lohns stark an den jeweiligen regionalen Kontext gekoppelt ist. Für einen Job als Babysitter oder Hausmeister bekommt man im Ruhrgebiet oder in Vorpommern deutlich weniger Salär als im wohlhabenden Hochtaunuskreis.
    Vielfach herrscht die Meinung vor, das Auseinanderlaufen der Löhne ließe sich allein auf Unterschiede im Humankapital zurückführen. Dass Ausbildung und Berufserfahrung sich in der Lohnhöhe niederschlagen sollen, ist gesellschaftlicher Konsens. Der Anreiz, länger die Schulbank zu drücken oder einen
höheren Bildungsabschluss zu machen, besteht für viele ja gerade darin, dass sich damit höhere Marktrenditen erzielen lassen. Ein Universitätsabschluss in der OECD -Welt bringt statistisch ein um 180 000 Dollar höheres Lebenseinkommen, in manchen Ländern sind es gar über 300 000 Dollar. Mit der Bildung steigen auch die

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