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Lebenschancen

Lebenschancen

Titel: Lebenschancen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffen Mau
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Produktivität und damit die gezahlten Löhne. Die Lohndynamik der jüngeren Jahre wird deshalb in der Regel mit einem wachsenden Gefälle zwischen qualifizierter und gering qualifizierter Arbeit, technologischem Wandel, dem Schrumpfen industrieller Kernbereiche, der Ausbreitung des Dienstleistungssektors und verschärftem globalen Wettbewerb erklärt.
    Zwar ist die Produktivität für Einkommensunterschiede durchaus relevant, sie erklärt die wachsenden Lohnabstände allerdings nur unvollständig: Es gibt keinen ausschließlich markt- oder produktivitätsbasierten Lohnfindungsmechanismus, der das Gehalt von Bankern wie Josef Ackermann festlegt. Es wäre auch kaum möglich, Steigerungen der Wirtschaftskraft oder des Börsenwerts eines Unternehmens individuell zuzurechnen. Die Polarisierung der Einkommen geht unter anderem gerade auf eine tendenzielle Entkopplung von Entlohnung und Produktivität zurück (Giesecke/Verwiebe 2009; Groß 2009), wobei die Gruppen der Investmentbanker und Spitzenmanager herausstechen. Sie verhandeln ihre Gehälter außertariflich, nehmen großzügige Boni, Zuschläge und Pensionsansprüche in Anspruch, lassen sich Kündigungen vergolden usw. Da sie ihre Bezüge ausschließlich mit ihresgleichen aushandeln, haben wir es hier mit einem Spiel zu tun, bei dem sich Angehörige einer Gruppe gegenseitig die größten Kuchenstücke in den Mund schieben. Nicht allein der Markt regiert, sondern auch die Kartelle der Macht und das Dickicht der guten Beziehungen.
    Am extremsten ist diese Entwicklung in den Führungsetagen der Unternehmen. Vorstände können ihre Gehälter weitestgehend selbst bestimmen. 2010 verdiente der Vorstandsvorsitzende eines DAX -Unternehmens im Durchschnitt 4,27 Millio
nen Euro im Jahr, so weisen es die Geschäftsberichte aus. Das Verhältnis der Pro-Kopf-Gehälter von Vorständen und Mitarbeitern ist von 1987 bis 2007 im Durchschnitt vom 14- auf das 49-fache gestiegen. Die Vorstandsvorsitzenden wiederum erreichen in zahlreichen Fällen zwei oder gar drei Mal mehr als der Vorstandskollege mit dem zweithöchsten Entgelt. So verdienen einzelne Führungskräfte heute über 100 Mal mehr als ein durchschnittlicher Mitarbeiter ihres Unternehmens (vgl. Schwalbach 2009). Interessanterweise wird dabei ein wichtiger Teil der Gratifikationen vor der Öffentlichkeit versteckt: die immensen Pensionszusagen. Diese machen zwar einen bedeutenden Anteil an der Gesamtvergütung aus, bleiben bei allen Diskussionen um die Transparenz der Managergehälter jedoch in der Regel außen vor.
    Angesichts solcher Zahlen ist man oft geneigt, den altbackenen Begriff des Anstands zu reanimieren. Frappierende Beispiele gibt es in Hülle und Fülle: Wenn Utz Claassen nach wenigen Jahren in der Führungsetage von En BW und mit einem Jahressalär von über vier Millionen Euro bis zum 63. Lebensjahr ein jährliches Übergangsgeld in Höhe von 400 000 Euro für sich reklamiert oder nach nur 74 Tagen (und geschätzten 15 Tagen im Büro) bei Solar Millenium wieder hinwirft, obwohl er nach Angaben der Firma eine »Antrittsprämie« von über neun Millionen Euro erhalten hat, ist etwas faul. Wenn man bedenkt, dass er außerdem noch ein Buch veröffentlicht hat, in welchem er die Deutschen auffordert, den Gürtel enger zu schnallen und härter zu arbeiten, kann man nur noch staunen. Für weite Teile der Mittelschicht handelt es sich hier um gravierende Verstöße gegen ihre Vorstellungen von Leistung und Gegenleistung, von ehrlicher Arbeit und fairer Entlohnung (Schrenker/Wegener 2007).
    Das sehen natürlich nicht alle so, und die Gewinner verweisen häufig ganz lapidar auf die Kräfte des Marktes. Ungleichheit sei gleichsam naturwüchsig, sie ergebe sich nun einmal aus dem
Mechanismus von Angebot und Nachfrage. Zudem stellen sie die wohltuenden Wirkungen der Ungleichheit heraus. Ein Standardargument lautet: Wenn man die produktiven Spitzenleute belohnt, profitieren letztlich alle davon, weil die Märkte dann effizienter arbeiten. Mit anderen Worten: Wenn man sie gewinnen lässt, gewinnen am Ende alle. Wenn größere Ungleichheit bedeutet, dass der Kuchen schnell und sichtbar größer wird, so dass auch die mittleren und unteren Einkommensgruppen etwas davon haben, dann empfinden wir dieses Argument zunächst als durchaus akzeptabel. Leider greift der skizzierte Zusammenhang nicht immer, und dass er gerade in der aktuellen Situation an Plausibilität einbüßt, liegt auf der Hand. Wenn es oben Zuwächse von 20 bis 30

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