Lebenschancen
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Kurz: Abschlüsse und Titel sind zwar nach wie vor eine notwendige, aber nicht länger eine hinreichende Bedingung für eine erfolgreiche Karriere. Gerade wenn es um Spitzenpositionen geht, machen Herkunft, Vitamin B und Habitus immer noch (bzw. vermehrt wieder) den Unterschied.
Diese gläserne Decke, an die übrigens auch Frauen oft stoßen,
hat weniger mit expliziten Akten der Diskriminierung oder Zurückweisung zu tun als vielmehr mit den Boni der Vertrautheit, des Kennens, der Netzwerke, des gemeinsamen Geschmacks, der Ähnlichkeit der Laufbahnen, in deren Genuss nur wenige kommen. Das Sammeln von teurer Kunst, Skifahren in St. Moritz, der geschickte Umgang mit Hummerzangen, die Kenntnis erlesener Weine, die Mitgliedschaft im Rotary Club, eine Einladung zur Bremer Schaffermahlzeit, die richtige Krawattennadel, all das kann einen als den gehobenen Kreisen zugehörig ausweisen. Diese sozialen und kulturellen Chiffren der Zugehörigkeit haben handfeste Effekte auf die Elitenrekrutierung, wie Michael Hartmann (2002, 2007) in seinen Untersuchungen zeigen kann. Hartmann hat herausgefunden, dass 80 Prozent der Vorstandsvorsitzenden der größten deutschen Konzerne die Söhne von Unternehmern, leitenden Managern, höheren Beamten oder akademischen Freiberuflern (Anwälte, Ärzte etc.) sind; die Mehrzahl davon rechnet er gar dem Großbürgertum im engeren Sinn zu, also einer noch exklusiveren Elite mit dem Habitus und der Selbstgewissheit der Arrivierten. Auch in anderen Sektoren (der Justiz, der Verwaltung, der Politik) beobachtet Hartmann eine Ver(groß)bürgerlichung der Eliten; der Anteil der Spitzenbeamten und -funktionäre, die aus der Arbeiter- oder Mittelschicht stammen, ist gering. Je wichtiger und machtvoller die jeweilige Position, desto unwahrscheinlicher, dass sie von einem sozialen Aufsteiger eingenommen wird. Offene Rekrutierung sieht anders aus. Auch Hartmann erklärt diese Tendenz neben besseren Startchancen und Gelegenheiten des Fortkommens mit den verinnerlichten Regeln, die auf dem gesellschaftlichen Parkett wichtig sind. Wer sie mit der Muttermilch aufsaugt, beherrscht sie perfekt; wer sie mühsam erlernen muss, bleibt immer hintendran, man wird ihm das linkische Bemühen auch nach vielen Jahren noch anmerken. Ähnlich wie in der kastenartig organisierten französischen Gesellschaft kommt auch hierzulande ein geschlossener Kreislauf der Selbstreproduktion in Gang.
Rufe nach Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit dringen bis in diesen Zirkel kaum vor.
Ein aufschlussreicher Indikator für die real existierende (oder blockierte) Durchlässigkeit der deutschen Gesellschaft am Beginn des 21. Jahrhunderts ist der Aufstieg Ostdeutscher in Führungsschichten. Anders als bei Zuwanderern aus dem Ausland, wo Sprachbarrieren und Assimilationsblockaden als Integrationsverhinderer identifiziert werden können, lassen sich diese Argumente bei den Ostdeutschen nicht in Anschlag bringen. Sächsisch ist mit Sicherheit nicht weiter vom Hochdeutschen entfernt als Schwäbisch. Zwar gibt es Unterschiede in der föderalen Bildungslandschaft, bei der PISA -Studie landen aber gerade Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt im oberen Tabellendrittel, im Schnitt schneiden die ostdeutschen Bundesländer insgesamt überdurchschnittlich ab. Im Hinblick auf die Studienfachwahl gibt es dann keine dramatischen Unterschiede. Doch wie sieht es mit den Aufstiegen in gesellschaftliche Führungspositionen aus? Das SZ -Magazin (3. August 2010) berichtete, dass im Jahr 2009 nur einer von weit über 100 Generälen der Bundeswehr aus Ostdeutschland kam. (Allerdings kommt fast die Hälfte der Soldaten, die an Auslandseinsätzen beteiligt sind, aus den neuen Bundesländern, und fast 40 Prozent der in Afghanistan getöteten Soldaten stammten aus dem Osten der Republik.) Von über 180 Dax-Vorständen, deren Herkunft bekannt ist, sind nur zwei in Ostdeutschland aufgewachsen: Torsten Jeworrek aus Oschersleben, heute im Vorstand der Münchner Rück, und René Umlauft von MAN Turbo & Diesel. Über ein Viertel stammt dagegen aus dem Ausland, die meisten aus den USA . Ich habe mir die Herkunft deutscher Spitzendiplomaten angesehen und kam immerhin auf zwei Ostdeutsche unter 144 Botschaftern, entsandt in die Auslandsvertretungen in Botsuana und Gabun. Als Johanna Wanka im April 2010 niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur wurde, war sie die erste Ostdeutsche, die es an die Spitze eines westdeut
schen Landesministeriums –
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