Lebenschancen
und zwar zum Besseren unterscheiden, der hat seine Aufgabe nicht erfüllt. Ich möchte heute noch mal 6 Jahre alt sein! Die Welt stand noch nie so offen und hat so viel geboten wie heute!« (2008: 6)
Doch dass einige von den Chancen schwärmen, während andere für sich praktisch keine mehr sehen, ist nur auf den ersten Blick widersprüchlich; einmal mehr liegt vieles im Auge des Betrachters. Objektiv sind die Chancen einfach extrem ungleich verteilt. Wer sie hatte und dann auch nutzen konnte, ist fest davon überzeugt, dass es sie im Übermaß gibt; wer keine ergreifen konnte, dem bleiben solche Schwärmereien fremd.
Die Vermögensgesellschaft und die Erbengeneration
Parallel zur Polarisierung der Chancen und Einkommen erleben wir, dass die Vermögen (also über Generationen oder individuelle Lebensläufe akkumulierte Bestände an Gütern, Immobilien oder Geld) immer ungleicher verteilt sind (Hauser/Stein 2001). Wer Vermögen hat, kann dies mithilfe der unterschiedlichsten Anlageformen vermehren, das heißt »Geld arbeiten lassen«: Investitionen, Geldanlagen, Mieteinkünfte usw. Tatsächlich wächst der Anteil der aus Vermögen erzielten Einkünfte am Gesamteinkommen rapide an: Während die Gehälter der Arbeitnehmer zwischen 2000 und 2007 nominal um elf Prozent anstiegen (real – also unter Berücksichtigung der Inflation – sanken sie sogar), nahmen die Unternehmens- und Vermögenseinkommen um 43 Pro
zent zu ( DGB 2008). Der Anteil der Erwerbseinkommen (Bruttolohnquote) ist somit in diesem Zeitraum von 72 auf 64 Prozent geschrumpft, während der Anteil der Vermögenseinkünfte von 28 auf 36 Prozent gewachsen ist (Schäfer 2010). Die Lohnquote nähert sich dem Niveau des Jahres 1960, der Zeit also, als die Verbreiterung des gesellschaftlichen Wohlstands begann. Damit scheint es nun vorbei zu sein, im Gegenzug ist es nicht unrealistisch, dass der Vermögensanteil auf über 50 Prozent steigt.
In einer solchen Gesellschaft stehen die vermögenden Eigentümer – Max Weber spricht von den »Besitzklassen« (1985 [1922]: 177), der amerikanische Ökonom und Soziologe Thorstein Veblen von den »müßigen Klassen« (1993 [1899]) – den Habewenigsen oder Habenichtsen gegenüber. Es macht schließlich einen großen Unterschied, ob man – unabhängig vom regelmäßigen Einkommen – über ein solides Vermögen verfügt oder nicht. Dabei sind die Quellen der Vermögensakkumulation sehr unterschiedlich, nur ein Teil wird durch eigene Arbeit erworben. Für die Studie Vermögen in Deutschland wurden 500 reiche Haushalte mit einem frei verfügbaren Kapitalvermögen von über 200 000 Euro befragt, und lediglich acht Prozent gaben an, durch abhängige Erwerbsarbeit reich geworden zu sein (Kramer 2010). 47 Prozent führten ihren Vermögensaufbau hauptsächlich auf unternehmerische Selbstständigkeit zurück, 30 Prozent auf Erbschaften, acht Prozent auf Immobilien und Gewinne aus Kapitalanlagen, und sechs Prozent gaben an, in eine reiche Familie eingeheiratet zu haben. Oft spielen natürlich mehrere Faktoren zusammen, also beispielsweise Erbschaften und Erwerbseinkommen, wobei wir ja bereits gesehen haben, dass Kinder aus begüterten Elternhäusern auf dem Arbeitsmarkt oft deutliche Startvorteile haben. Anders als in der Beschreibung Veblens bedeutet Reichtum nicht automatisch Müßiggang. Andersherum gilt aber auch, dass heute zwar viele Reiche arbeiten, weshalb man in den USA in Anlehnung an die working poor von den working rich spricht, doch nur wenige Menschen werden ausschließ
lich durch Erwerbsarbeit reich. Ungleichheiten in der Vermögensausstattung haben die Eigenschaft, sich via Zins und Zinseszins zu verstärken.
Laut den Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung beliefen sich die Nettovermögen deutscher Privathaushalte im Jahr 2007 auf 6,6 Billionen Euro (Frick/Grabka 2009). Zum Nettovermögen zählen Betriebsvermögen, Geldvermögen, Vermögen aus privaten Versicherungen, Immobilienbesitz, Sachvermögen wie Goldmünzen und, allerdings mit negativem Vorzeichen, Schulden. Im Schnitt waren das etwa 88 000 Euro pro Deutschem. Aber der Durchschnitt ist eben nur eine statistische Größe, und die Vermögen sind – ich habe es angesprochen – auch hierzulande sehr ungleich verteilt. Das obere Zehntel der Bevölkerung kontrolliert etwa 60 Prozent des Gesamtvermögens, das oberste Zwanzigstel etwa die Hälfte (46 Prozent), und die Superreichen (also das mittlerweile berüchtigte »eine Prozent«)
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