Lebenschancen
kommen auf 25 Prozent (Frick et al. 2010). Rund zwei Drittel der erwachsenen Deutschen haben hingegen kein oder nur ein sehr bescheidenes Geld- und Sachvermögen: Die unteren 70 Prozent verfügen gerade einmal über neun Prozent des Gesamtvermögens (Frick/Grabka 2009: 59).
Nimmt man den Gini-Koeffizienten als Maß, so ist die Vermögensungleichheit in Deutschland etwa doppelt so groß wie die Polarisierung bei den Einkommen. Das bedeutet im Klartext: »[V]on einem breiten Vermögens-Mittelstand oder dem Ausschluss von Vermögensarmut in Deutschland kann nicht die Rede sein.« (Schäfer 2004: 50) Die Entwicklung läuft eher in die entgegengesetzte Richtung: Angesichts stagnierender Erwerbseinkommen, einer im Vergleich zu Arbeit geringeren Besteuerung von Kapitaleinkünften (Vermögen werden seit 1997 gar nicht mehr besteuert!) und niedrigen Erbschaftssteuersätzen nimmt die Konzentration der Vermögen immer weiter zu – und das relativ schnell. Die Angst der Politiker, größere Belastungen für Vermögende könne die Zahl der Reichtumsexilanten
in die Höhe treiben und zu einem Standortnachteil werden, hat über viele Jahre zu einer Tabuisierung von Steuererhöhungen (oder hohen Steuern überhaupt) geführt. Der Staat hat die Hebel einer ausgeglichenen Vermögensverteilung nach und nach aus der Hand gegeben. Dabei sollte es uns nachdenklich stimmen, dass es selbst unter den Wohlhabenden immer mehr Stimmen gibt, die sich gegen eine Steuerpolitik zugunsten der Reichen wenden.
Im Zuge der zunehmenden Vermögenskonzentration entsteht eine neue Schicht von Obertanen, die in einem eigenen Land leben, das der amerikanische Journalist Robert Frank »Richistan« (2009) genannt hat. Diese Gruppen leben immer häufiger in privilegierten Sonderzonen, Parallelgesellschaften, wenn man so will, weitgehend abgeschottet vom Rest der Bevölkerung. Das sind die Clubs der Auserwählten, gated communities , Flughafen-Lounges, exklusive Restaurants und Abendgesellschaften, wo man gerne unter Seinesgleichen bleibt. Man findet sie auch im Eliteinternat Schloss Torgelow, der teuersten Privatschule Deutschlands, wo Reiten und Golf zum Standard-Angebot gehören. Mit der Zunahme des Reichtums für einige wächst auch das Bedürfnis, sich abzusondern, vor allem dann, wenn gleichzeitig die Armut spürbar zunimmt. Der Journalist Christian Rickens weist in seinem Buch Ganz oben (2011) darauf hin, dass es in Deutschland in etwa so viele Vermögensmillionäre gibt wie Wohnungslose, jeweils 800 000. Rekordzahlen bei den Privatinsolvenzen, deutlich über 100 000 pro Jahr, und eine massive Ausweitung der Überschuldung hingegen sind Nachrichten aus dem Kellergeschoss dieser Gesellschaft. Peter Zwegat hat es als RTL -Schuldnerberater immerhin zum TV -Star gebracht und berät Personen mit kleinem Portemonnaie und drückender Schuldenlast. Das sind oft Menschen mit leerem Blick, sorgenvoller Miene und fahler Haut.
Man muss kein Prophet sein, um zu erahnen, welche Folgen eine derartige Konzentration des Wohlstands mittelfristig haben
wird. Im Zuge des Abtretens der Wirtschaftswundergeneration werden hierzulande in einem historisch einmaligen Ausmaß Vermögen übertragen werden. Während akkumulierter Reichtum noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts immer wieder durch Kriege, Inflation oder Währungsreformen abgeschmolzen wurde, rauscht nun eine wahre Nachlasswelle auf Deutschland zu, die »Generation Erben« ist bereits im Entstehen. Schätzungen zufolge werden in Deutschland allein zwischen 2011 und 2015 1,3 Billionen Euro übertragen werden, eine Summe, die das Sparvolumen der privaten Haushalte übersteigt. In den letzten 15 Jahren hat sich der durchschnittliche Wert einer Erbschaft auf ungefähr 250 000 Euro verdoppelt. Die Nutznießer der langen Prosperitätsphase stehen bereit: Menschen in jungen und mittleren Jahren, oft mit guter Bildung, arrivierten Lebensumständen und attraktiven Jobs. In der Blüte ihres Lebens erwartet sie nun ein Geldregen, für den sie überhaupt nichts tun mussten. Doch auch hier zeigt sich ein ähnliches Muster wie bei den Erwerbseinkommen und den Vermögen, denn die zu erwartenden Erbschaften werden ebenfalls sehr ungleich verteilt sein (Szydlick/Schupp 2004). Millionen- oder gar Milliardenvermögen hier, Bonsaivermögen oder gar Schulden dort. Schätzungen zufolge wird ein Prozent der Erben in den nächsten Jahren ein Viertel der nationalen Erbmasse erhalten, während ein Drittel leer ausgehen wird. Die Situation
Weitere Kostenlose Bücher