Lebenschancen
verwundert es auch nicht, dass sich unter den Einkommensaufsteigern, also den Personen, die in die Gruppe derjenigen wandern, die über mehr als 150 Prozent des Medianeinkommens verfügen, auch viele ältere Paarhaushalte befinden.
Wenn freie Zeit und Geld zusammentreffen (und die Gesundheit mitspielt), kommt dabei meistens eine Leidenschaft fürs Reisen heraus. Mittelstandsrentner sieht man überall: mit lässig über die Schulter geworfenem Burlington-Pullover in der Sansibar auf Sylt, mit Trekkingsandalen und Funktionsklamotten in Meran, mit dem Kegelklub im ICE -Sprinter auf der Reise von Frankfurt nach Berlin. Doch auch die Population der Wohlstandsrentner wird tendenziell abnehmen: Erwerbsbiografien weisen immer mehr Brüche auf, der Staat zieht sich aus der Einkommenssicherung zurück, das Risiko der Altersarmut wächst. Relativ wohlhabende Rentner werden bald einer wachsenden Zahl älterer Menschen gegenüberstehen, die nahe am Existenzminimum leben.
Im Vergleich zur Gruppe der wohlhabenden Rentner stellt sich die Situation von Haushalten mit Kindern deutlich schlechter dar. Alleinerziehende waren schon immer eine »Problemgruppe«, weil sie nur begrenzt auf dem Arbeitsmarkt aktiv sein können. Ohne gut ausgebaute und flexible Infrastrukturen der Kinderbetreuung sind sie kaum in der Lage, sich eine Position in der gesicherten Mitte zu erobern. Doch auch »klassische« Familien sind nicht gegen Armut gefeit. Hier hängt vieles davon ab, ob beide Elternteile in Vollzeit erwerbstätig sein können. Haben beide einen Job, sinkt in der Regel das Armutsrisiko. Angesichts stagnierender Einkommen und der prekären Situation auf
dem Arbeitsmarkt fallen jedoch gerade junge Familien immer häufiger aus der Mittelschichtschublade heraus. Die Zeiten, in denen ein (in der Regel dem Mann zufließendes) Einkommen ganz selbstverständlich für alle ausreichend Wohlstand versprach, sind passé. Mit jedem weiteren Kind sinkt das Pro-Kopf-Einkommen im Haushalt deutlich ab, zudem wirkt Nachwuchs sich oft wie eine Karrierebremse aus. In der Forschung spricht man von einer »Infantilisierung der Armut« (Hauser 1997: 76), weil das Armutsrisiko für Haushalte mit Kindern und Jugendlichen steigt. Es überrascht daher nicht, dass der Anteil der Familienhaushalte an der Einkommensmittelschicht über die Zeit kleiner wird (Grabka/Frick 2008). Dass sie abgehängt wurden, spüren Familien vor allem, wenn sie sich Wohnungen kaufen oder Häuser bauen wollen. In ländlichen Regionen und kleineren Städten mag das noch möglich sein, doch in Metropolregionen wie München oder Hamburg, wo sich die Quadratmeterpreise selbst in B-Lagen leicht auf 4000 oder 5000 Euro hochschrauben, ist das mit einem mittleren Einkommen kaum noch zu schaffen: Wenn für renovierungsbedürftige Einfamilienhäuser über 500 000 Euro auf den Tisch gelegt werden müssen, steigen Durchschnittsverdiener aus. Wer nicht von Eltern oder Verwandten großzügig unterstützt wird, hat hier kaum eine Chance. Solchen Menschen stellt sich dann bald die Frage, wer sich Investitionen in dieser Preisklasse überhaupt noch leisten kann.
Refeudalisierung sozialer Ungleichheit?
In einer Meritokratie (griechisch für Herrschaft der Fähigsten) gilt, dass Positionen, Güter und Belohnungen nach individueller Leistung vergeben werden sollen. IQ plus Talent plus Fleiß – so lautet die zentrale Formel für die Verteilung von Gratifikationen. Chancen sollen breit gestreut, Aufstiege für alle möglich sein. Doch wer entscheidet darüber, wer als fleißig, talentiert oder
leistungsfähig gelten soll? In den westlichen Gesellschaften der Gegenwart wird diese Funktion vor allem an den Markt delegiert. Hier wird festgelegt, welche Leistungen knapp sind und daher belohnt werden sollen, hier wird die Produktivität von Personen »gemessen«, hier werden individuelle Anstrengungen und Investitionen (z. B. in Bildung) honoriert. So jedenfalls das Ideal eines effizienten, den allgemeinen Wohlstand befördernden Marktes, an dem sich viele seiner Verfechter orientieren.
Aber ist der Markt wirklich gerecht? Sind Leistung und Erfolg heutzutage wirklich so eng verkoppelt? Liest man die Studien des Soziologen Sighard Neckel, sind ernsthafte Zweifel angebracht. Neckel kann zeigen, dass der Markt sich in einer Weise verändert hat, die das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit nach und nach unterminiert (2001b). Heute würden nicht länger allein die Menschen belohnt, die sich anstrengen und viel
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