Lebenschancen
fokussierenden Sozialpolitik, zu einer Sozialpolitik, die den Verbraucher als ›Kunden‹ ausweist. Recht bedenkenlos wird den Verbrauchern offenbar zugetraut, dass sie eine konstitutive Rolle bei der Gestaltung ihrer eigenen sozialen Sicherheit übernehmen und hierbei folgenreiche, mit vielen Unsicherheiten behaftete Herausforderungen auf den zum Teil unübersichtlichen Märkten sozialstaatlicher Produkte und Dienstleistungen bewältigen können.« (2009: 57)
Empirisch kann man zeigen, dass zwischen der Rhetorik der Wahlfreiheit und der Kundenorientierung einerseits und dem tatsächlichen Verhalten der Menschen andererseits eine Lücke
klafft: Die Nachfrage nach individualisierten und privatisierten Sicherungsangeboten ist immer noch recht gering, es gibt massive Informationsdefizite bei den Verbrauchern und eine tendenzielle Überforderung mit der Produkt- und Fördervielfalt (Lamping 2009). Einige Risiken (Krankheiten etwa) sind so schwer vorherzusehen und zu kalkulieren, dass die Menschen vor Wahltarifen und allen Formen der Selbstbeteiligung tendenziell zurückschrecken. Wer an chronischen Erkrankungen leidet oder mit einer Behinderung gehandicapt ist, hat Schwierigkeiten, auf dem privaten Markt überhaupt einen einigermaßen bezahlbaren Versicherungsschutz zu bekommen. Und auch im angesprochenen Bereich der privaten Altersvorsorge müssen Interessenten zwischen einer unübersichtlichen Vielzahl unterschiedlicher Anlageformen wählen (Ebbinghaus 2011). Da gerade die Altersvorsorge einen sehr langen Zeithorizont hat, benötigt man detaillierte und belastbare Informationen über die spätere Rentenhöhe, mögliche Versorgungslücken, Anlagerenditen (sowie -risiken) und staatliche Förderungsmöglichkeiten, wenn man eine sinnvolle Entscheidung treffen soll. Es drohen viele Fallstricke: Die Riester-Rente wird beispielsweise auf die Leistungen aus der staatlichen Grundsicherung angerechnet; auch gibt es immer noch massive Beratungsdefizite im Hinblick auf den Anspruch auf staatliche Zulagen. Bei Scheidung, Arbeitgeberwechsel, Geburt eines Kindes, Gehaltserhöhung oder Arbeitslosigkeit kann die Förderberechtigung entfallen oder die Zulagenhöhe sinken. Viele Versicherer haben die Riester-Rente mit hohen, auf positive Marktentwicklung setzende Renditen beworben, die nach heutigem Kenntnisstand nicht zu erwirtschaften sind. In Einzelfällen übersteigen die Vertragskosten sogar die garantierten Verzinsungen. Insgesamt sind die Vertragsbedingungen oft sehr schwer verständlich, und insbesondere bei fondsgebundenen Riester-Produkten wird oft keine garantierte Rente ausgewiesen. Ohne die umfangreichen Zuschüsse aus Steuermitteln könnten sich solche Angebote wohl kaum am Markt halten.
Gerade im Bereich der Altersvorsorge hat sich gezeigt, dass das Informations- und Kompetenzdefizit massiv ist, weshalb sich die Bundesregierung genötigt sah, das von den Volkshochschulen getragene Bildungsprogramm »Altersvorsorge macht Schule« aufzulegen (Frommert 2008).
Bislang waren es jedoch vor allem Angehörige der Mittelschicht, die von den Möglichkeiten der staatlich subventionierten privaten Altersvorsorge Gebrauch gemacht haben. Angesichts des beschriebenen Problems, dass vor allem sie unter der Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus leiden werden, war das so auch zu erwarten. Außerdem haben Menschen mit kleineren Einkommen nicht die Mittel, um selbst privat vorzusorgen, und die Reichen haben es in dieser Form nicht unbedingt nötig. Empirisch zeigt sich dementsprechend, dass das Verhältnis zwischen dem Einkommen und der Bereitschaft, eine Riester-Rente abzuschließen, umgekehrt U-förmig verteilt ist: Sie steigt im Übergang vom unteren zum mittleren Einkommensbereich an und geht bei den hohen Einkommen wieder etwas zurück (Lamping/Tepe 2009). Die Mittelschicht ist also – im Vergleich zu anderen Gruppen – vorsorgeaktiv, allerdings gilt das nur für einen Teil von ihr, denn selbst in der Mitte hatten 2008 nur 21 Prozent der Menschen einen Riester-Vertrag (ebd.). Diejenigen, die solche Förderungen nicht in Anspruch nehmen, müssen sich auf massive Sicherungslücken am Lebensabend einstellen, viele fallen dann vermutlich auf das Niveau der Grundsicherung herab; die Gesellschaft insgesamt wird mit wachsender Ungleichheit im Alter konfrontiert sein.
Eine Umfrage, die ich mit Kollegen von der Universität Bremen durchgeführt habe (Sachweh et al. 2009), bestätigt die Überlegungen und Befunde. Zunächst war die
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