Lebenschancen
Restrukturierung einzelner Abteilungen als Profitcenter, Maßnahmen, von denen man sich »künstliche« Konkurrenz und Effizienzgewinne verspricht) höherer Druck und größere Unsicherheit einher.
Auch für die Nutzer von Leistungsangeboten, die marktlichen Steuerungsprinzipien unterliegen, liegen die Vorteile nicht immer auf der Hand. Nehmen wir das Beispiel Gesundheitsversorgung: Gesundheit ist ein besonderes Gut und lässt sich nicht ohne Weiteres einem privaten Versicherungsmarkt übertragen. Viele, insbesondere chronisch Kranke, wären ein nicht versicherbares Risiko. In der gesetzlichen Krankenversicherung geht es zuvorderst um die Realisierung einer bedarfsgerechten Versorgung. Mit dem Einzug marktlicher Steuerungsprinzipien, die die Effizienz steigern und Kosten dämpfen sollen, sind für die Patienten neue Unwägbarkeiten verbunden. Bei jeder Behandlung stellt sich die Frage der Kosten. Wo überproportional hohe Kosten anfallen, droht Unterversorgung; billigere Alternativen, die überproportionale Gewinne versprechen, werden häufiger eingesetzt. Als Patient wird man skeptisch: Bekomme ich tatsächlich die optimale Behandlung? Setzen die dieses Gerät oder Medikament ein, weil es sich für sie lohnt, oder weil es mir wirk
lich hilft? Wurde wieder irgendeine Kostenerstattungsregel geändert, die eine Untersuchung besonders profitabel macht?
Eigenverantwortung und private Vorsorge
Wenn marktliche Prinzipien in den Bereich der Daseinsvorsorge Einzug halten, bedeutet das zugleich wachsende Zumutungen der Eigenverantwortung, des Selbst-Kümmerns und Entscheidens. Dieses Leitbild beinhaltet einen Rollenwandel: weg vom passiven Empfänger von Leistungen, hin zum aufgeklärten und autonomen Kunden, der auf den entstehenden »Wohlfahrtsmärkten« (Nullmeier 2002) aus einer Vielzahl von Angeboten ein maßgeschneidertes Sicherheits- und Vorsorgeportfolio für sich zusammenstellen kann. In einer privatisierten Welt ist Sicherheit eben etwas, »das sich jeder im Do-it-yourself-Verfahren selbst beschaffen muss« (Bauman 2009: 138). Der Politikwissenschaftler Jacob S. Hacker von der Universität Yale, der mit The Great Risk Shift das vermutlich wichtigste amerikanische Buch über den Wandel der Sozial- und Gesundheitspolitik vorgelegt hat, betont, dass es dabei nicht nur um neue politische Instrumente und Mechanismen geht, sondern vor allem um einen grundlegenden ideologischen Wandel: Die Philosophie des »Wir sitzen alle im selben Boot« werde durch eine Vision der persönlichen Eigenverantwortung ersetzt (Hacker 2006: 34). Der Versicherungsgedanke wird nicht mehr im Sinne der klassischen Vorsorgeeinrichtungen als eine kollektive Aufgabe verstanden (Ewald 1993), sondern zunehmend individualisiert. Gleichzeitig werden einstmals normierte, auf Gleichbehandlung und Grundversorgung ausgerichtete Angebote »von der Stange« diversifiziert und durch auf den einzelnen Kunden zugeschnittene Pakete ersetzt (Lamping 2009). Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung kann man beispielsweise zwischen einer Vielzahl von Kassen wählen (die freilich selbst vor allem um die Jungen und
Gesunden konkurrieren), es gibt alle möglichen Tarife zur Einschränkung oder Ausweitung der Leistungen, eine wachsende Zahl von Bonusprogrammen, die Verpflichtung zur Ko- und Eigenfinanzierung und natürlich weitere private Versicherungen (vor allem für Zahnbehandlungen), die vorhandene Angebote ergänzen sollen.
Besonders weit fortgeschritten ist die Vermarktlichung im Bereich der Alterssicherung, wobei das Vertrauen in das staatliche Rentensystem schon seit Längerem bröckelt. Ein großer Anteil der Bevölkerung glaubt nicht, dass sich das gegenwärtige Sicherungsniveau auf Dauer wird halten lassen (Institut für Demoskopie Allensbach 2007). Um der wachsenden Versorgungslücke zu begegnen, soll nun individuelle Vorsorge getroffen werden. Ob Riester- oder Rürup-Rente, die Säule private Alterssicherung wird sukzessive ausgebaut. Natürlich haben sich damit die Spielräume für individuelle Entscheidungen deutlich vergrößert – zumindest in der Theorie. Aber werden die Möglichkeiten der privaten Vorsorge auch wirklich genutzt, um die mit dem Rückzug des Staates verbundenen Sicherungsverluste zu kompensieren? Wächst mit den Freiräumen auch die Vorsorgebereitschaft und -kompetenz? Der Politikwissenschaftler Wolfram Lamping ist skeptisch:
»Diese Entwicklung markiert den Übergang von einer versorgenden, auf den Bürger als Objekt
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