Lebenschancen
nicht zwingend das Allgemeinwohl befördert, sondern große soziale Schäden anrichten kann. In seinem Buch The Darwin Economy (2011) argumentiert er, der Wettbewerb setze nicht selten Anreize, die den Interessen der Allgemeinheit zuwiderlaufen und die dafür sorgen, dass zu viele auf der Strecke bleiben und ihr Potenzial verloren geht.
Wenn die Menschen sich erst einmal als Konkurrenten und nicht länger vor allem als Mitbürger wahrnehmen, wird es für sie immer schwieriger, Erfahrungen des Scheiterns und der Deklassierung als kollektives Schicksal zu begreifen. Strukturelle oder konjunkturelle Faktoren, die das gesamte Kollektiv betreffen, geraten aus dem Blick, man hat das Gefühl, selbst individuell versagt zu haben. Für viele arbeitsuchende Mittelschichtler, die ihr ganzes Leben lang prinzipiell vermarktbare Qualifikationen erworben haben, ist das eine schmerzhafte Erfahrung. Sie glauben sich für den Arbeitsmarkt gut gerüstet, haben eigentlich »alles richtig gemacht« und können doch keinen adäquaten neuen Job ergattern, weil bestimmte Berufe oder Profile plötzlich aufgrund der Situation auf dem Weltmarkt hierzulande nicht mehr gefragt sind. Sie bekommen dann allerdings zu hören, sie seien zu alt, zu unflexibel oder einfach nicht smart genug, und ihr Scheitern fällt auf sie selbst zurück. Alle, die seit Jahren öffentlich das Prinzip Eigenverantwortung anpreisen und einfordern, sagen den Menschen damit indirekt ins Gesicht: »Es liegt vor allem an dir, wenn du es nicht schaffst. Andere bekommen es doch auch hin!«
Man muss allerdings differenzieren, denn nicht überall schlägt
der Wettbewerb voll durch: Es gibt nach wie vor die Etablierten in den Zonen der Sicherheit, die vom Druck im unsicheren Wettbewerbsbereich noch recht wenig spüren. In vielen Segmenten des Arbeitsmarkts, man denke nur an das Beamtentum, gibt es bis heute Formen der sozialen Schließung, mit denen die Marktmacht gebrochen und Privilegien geschützt werden. Das sind die Spielfelder der Professionsverbände (die den freien Zugang zu bestimmten Berufen kontrollieren und eindämmen wollen), der Gewerkschaften (die sich mehr um die Kern- als um die Randbelegschaften kümmern) und der Parteien (die Klientelpolitik betreiben oder die Zuwanderung begrenzen). Der Markt bringt zwar in der Mitte der Gesellschaft das Floß zum Schaukeln, es entstehen allerdings auch neue Inseln der Sicherheit – ganz oben an der Spitze der sozialen Hierarchie und dort, wo große Vermögen vererbt und somit Chancen auf Dauer gestellt werden. Alle wollen die Chancen des Marktes nutzen, gleichzeitig versucht man, sich effektiv von den damit verbundenen Risiken abzuschirmen. Das gelingt einigen jedoch deutlich besser als anderen.
Nicht nur in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt wird der Wettbewerb immer härter, die entsprechenden Prinzipien haben längst auch gesellschaftliche Bereiche erfasst, die den Kräften des Marktes zuvor entzogen waren: Öffentliche Dienstleistungen werden privatisiert oder zumindest gemäß neuer, eher marktaffiner Steuerungsmodelle organisiert. Das betrifft kulturelle Einrichtungen, die Versorgung mit Energie und Wasser, die Müllabfuhr oder auch den Bildungsbereich. Das Hauptargument für die entsprechenden Umbaumaßnahmen ist oft die mangelnde Effizienz öffentlicher Einrichtungen und Behörden. Schaut man genauer hin, zeigt sich, dass die Zahl der Beispiele für erfolgreiche Privatisierungen überschaubar ist. Als besonders desaströs gilt die Privatisierung der britischen Bahn, welche nicht nur eine drastische Erhöhung der Preise und einen schlechteren Service zur Folge hatte, sondern auch als eine der
Ursachen für die Häufung von Bahnunfällen mit zahlreichen Toten gilt. Investitionen in Infrastruktur und flächendeckende Versorgung wurden von den privaten Unternehmen dem Gewinnziel untergeordnet. Bei Privatisierungen handelt man sich noch weitere Probleme ein: unübersichtliche Verträge mit globalen Konzernen, die sich später als nachteilig für die Kommunen erweisen; regionale und überregionale Monopole, die den versprochenen Wettbewerb wieder einschränken. Zudem kommt es in manchen Bereichen zu »sinnlosen Wettbewerben« (Binswanger 2010), deren »Veranstalter« oft recht naiven Vorstellungen von Effizienz und der Vergleichbarkeit von Leistungen mittels Kennzahlen anhängen. Für die Beschäftigten gehen mit Privatisierungen und der Implementierung marktwirtschaftlicher Steuerungsmechanismen (Budgetierung, die
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