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Lebenschancen

Lebenschancen

Titel: Lebenschancen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffen Mau
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geknüpft, von Mitarbeitern mit abfallender Leistungskurve trennt man sich, Investitionen in Weiterbildung werden nach Möglichkeit vermieden, Neueinsteiger, die erst noch angelernt werden müssen, bekommen zunächst einmal weniger (manchmal sogar gar kein) Geld. Krankheiten, Unfälle und andere Risiken, die die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen können, werden tendenziell auf die Arbeitnehmer abgewälzt. Outsourcing, Leiharbeit, Ich- AG s und Soloselbstständigkeit, aber auch die Beteiligung der Mitarbeiter am Gewinn stehen für eine Kultur der marktförmigen Vergabe von Arbeitsaufträgen und der engen Kopplung der Bezahlung an den Erfolg. Die Volatilität der Märkte schlägt damit direkt auf den individuellen Lebensstandard durch.
    Vor diesem Hintergrund entsteht eine neue Mentalität, die Ulrich Bröckling (2007) als »unternehmerisches Selbst« bezeichnet hat. Die Individuen verstehen sich zunehmend als Akteure, die sich – ähnlich wie Firmen – permanent auf dem Markt bewähren müssen. Es gilt, das eigene Humankapital, das Portfolio der Talente und Begabungen so zu entwickeln und zu präsentieren, dass die Nachfrage maximal groß wird. In dieser Situation reicht es nicht länger, »nur« ein netter Kollege oder ein Arbeitstier zu sein, man muss das eigene Vorankommen strategisch vorbereiten. Dazu gehören mikropolitische Anstrengungen (die richtigen Netzwerke, Koalitionen und Seilschaften, das Ausstechen von Konkurrenten, das Signalisieren von Aufstiegsambitionen), aber auch die Fähigkeit, andere von der eigenen Kompetenz und Leistungsfähigkeit wirkungsvoll zu überzeugen. Gerade was sich aktuell im Bereich des Bewerbungscoachings tut, spricht für sich (Ehrenreich 2006): Viele Unternehmen suchen nach eigener Auskunft nicht länger nur zuverlässige Mitarbeiter, sondern inspiring personalities mit einem spirit of success. Ausstrahlung, Präsenz, Hochglanzbewerbungsmappe – der Begriff der Selbstvermarktung sollte einen aufhorchen lassen, geht es dabei
doch darum, dass die Arbeitnehmer sich endgültig und ganz bewusst als Ware auf einem umkämpften und unsicheren Markt präsentieren müssen. Allerdings bedeutet Selbstökonomisierung hier nicht, dass Menschen wirklich und durchgängig rationaler handeln und dadurch ihren Nutzen maximieren. Die wirklichen Erträge solcher Strategien sind nicht immer auszumachen, vielfach wird einfach imitiert, was man bei anderen sieht oder was sich als kultureller Standard durchgesetzt hat.
    Ein weiteres wichtiges Leitbild ist das des »Arbeitskraftunternehmers« (Voß/Pongratz 1998), der seinen Alltag vor allem an den Erfordernissen des Arbeitsmarkts ausrichtet. Verbunden sind damit nicht selten der Hang zu einer Verbetrieblichung der Lebensführung, unter der Familien und Freundeskreise leiden, sowie eine allgemeine Entgrenzung von Arbeit und Privatleben: permanente Erreichbarkeit, Abend- und Wochenendarbeit, zwischen Dusche und Frühstückstisch werden die ersten E-Mails gecheckt. Technologien wie Smartphones und Tabloid- PC s stellen endgültig sicher, dass Arbeitnehmer auch im Urlaub im Stand-by-Modus bleiben. Freiwilligkeit und Zwang sind dabei oft nicht mehr auseinanderzuhalten, und bei den neuen Selbstständigen zeigt sich das Phänomen der »bulimischen Karrieren« (Pratt 2000: 432): Auf Phasen der Rund-um-die-Uhr-Belastung folgen Wochen oder Monate des Leerlaufs, darüber entscheidet nun allein der Markt.
    Mit der zunehmenden Wettbewerbsorientierung und Vermarktlichung der Gesellschaft verbinden sich auch neue Erfahrungen des Scheiterns. Der Soziologe Karl Otto Hondrich bringt es auf den Punkt: »Wettbewerb erzeugt Ungleichheit. Sogar wenn alle ihre Leistungen steigern, sind einige zum Scheitern verdammt. Der Erfolg der einen ist der Misserfolg der anderen. Leistungssteigerung führt – später oder früher, dort oder hier – zu Leistungsversagen.« (2001: 68) Hondrich bezeichnet das Leistungsversagensgesetz als fundamentales Paradoxon der Wettbewerbsgesellschaft, in der es immer einigen Starken gelingt, schwä
chere Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen (vgl. auch Rosa 2006). Während Standesgesellschaften Statuszusagen machen, können Marktgesellschaften sich den »Luxus der Statussicherheit« nicht leisten, sie bringen stattdessen permanent »kompetitive Ungleichheiten« hervor (Vogl 2010: 57). Das gesellschaftliche Programm des andauernden Wettbewerbs ist mit Ungleichheit und Unsicherheit verbunden. Der US -Ökonom Robert Frank betont, dass Konkurrenz

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