Lebenschancen
den Beruf als auf die Mutterrolle, wenn die Lebensumstände prekär werden.
Die Crux mit der Bildung
Sie haben sie vielleicht auch schon einmal bemerkt: Mütter oder Väter, die ihr Kind auf dem Spielplatz nie weiter als zwei Meter von sich weglassen. Selbst wenn sie in ein Gespräch verwickelt sind, blicken sie permanent über die Schulter, sie mahnen und rufen und sind allzeit bereit, potenzielle Gefahren abzuwehren. Fällt das Kind hin, wird es wieder auf die Beine gestellt und getröstet; kommt es beim Klettern nicht richtig voran, gibt es sofort Hilfestellung. Wie der Polizeihubschrauber über dem fliehenden Einbrecher kreisen solche Eltern über den Kindern, wie sein Suchscheinwerfer lassen ihre Augen den »Premiumnachwuchs« nie aus den Augen. Tatsächlich sprechen Forscher in den USA inzwischen von »Helikopter-Eltern« (Foster/Fay 1990) und von elterlicher Überbetreuung ( overparenting ).
Die nervösen, übertrieben fürsorglichen Mamas und Papas sind nur ein Indiz dafür, dass auch Kindergärten, Schulen und Universitäten längst von den beschriebenen Trends erfasst wurden. Einerseits wissen gerade Mittelschichteltern, dass frühe und umfassende Förderung ein ganz entscheidender Schlüssel ist, wenn es darum geht, die nächste Generation in der Mittelschicht zu halten oder gar einen weiteren sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Akademiker, denen es nicht gelingt, ihre Sprösslinge erfolgreich durchs Abitur zu bringen, haben in der Selbstwahrnehmung versagt. Andererseits sind auch im Bereich der Bildung die Wahlmöglichkeiten der Eltern enorm gestiegen: Wo es früher – zumindest für Normalsterbliche, die ihren Nachwuchs nicht nach England oder in deutsche Eliteinternate schicken können – wie im Sektor der sozialen Sicherung nur die staatliche Bildungskarriere »von der Stange« gab, findet sich heute im Zuge der Privatisierung und Kommerzialisierung eine Vielfalt an Angeboten à la carte : Der Nachhilfeunterricht boomt, Ratgeber und Leitfäden zur richtigen Schulauswahl haben ebenfalls Hochkonjunktur, bilinguale Grundschulen mit integrier
ten Kindergärten und Ganztagsbetreuung, wie sie etwa das Unternehmen Phorms in deutschen Städten anbietet, konkurrieren mit staatlichen Einrichtungen und versuchen, sich durch ausgefallene Angebote und innovative pädagogische Konzepte zu profilieren. Die Zahl der privaten Grundschulen ist in den letzten beiden Jahrzehnten massiv gestiegen, von 226 im Jahr 1992 auf 669 im Jahr 2009 (Knötig 2010). Die Zielgruppe der entsprechenden Angebote ist vor allem die Mittelschicht, wo die Eltern besonderen Wert auf umfassende Förderung und Bildungserfolg legen (Spieß et al. 2009). Parallel dazu haben die Eltern sich auch an öffentlichen Schulen immer mehr Mitspracherechte erobert: Während sie früher ohne großes Aufsehen Noten oder die Zuweisung zu bestimmten Schultypen akzeptierten, proben sie heute oft den Aufstand, lassen sich einen Termin beim Direktor geben, drohen mit dem Anwalt. Sie wollen auf jeden Fall verhindern, dass ihr Kind frühzeitig aufs (vermeintliche) Abstellgleis geschoben wird.
Einmal mehr erkennen wir das mittlerweile typische Muster: In einer Zeit, in der Aufwärtsmobilität keine Selbstverständlichkeit mehr ist, entbrennt ein zunehmender Wettkampf um den Bildungserfolg der Kinder, und die Eltern sind durchaus bereit, dafür viel Geld und Zeit aufzuwenden. Gleichzeitig wird das Angebot unübersichtlicher, die Entscheidungsunsicherheit steigt. Nehmen wir das Beispiel der frühkindlichen Bildung: Lange Zeit galt es unter Experten als gesicherte Erkenntnis, dass die wichtigsten Grundlagen des langfristigen Bildungserfolgs in den ersten drei Lebensjahren gelegt werden; mittlerweile gibt es jedoch auch Studien, die darauf hindeuten, dass die Rolle der frühen Förderung überschätzt sein könnte (Heekerens 2010). Der Beratungsbedarf nimmt zu, kein Wunder also, dass Schul- und Uni-Rankings und Online-Portale wie Schulradar.de oder Schulbenotung.de immer wichtiger werden. Natürlich spielt auch hier der soziale Vergleich eine große Rolle – in doppelter Hinsicht: Wenn man vor dem Kindergarten mit anderen Eltern
spricht, kann man sich über pädagogische Angebote austauschen; gleichzeitig findet man heraus, wo man mit den eigenen Bildungsanstrengungen im Vergleich zur »Konkurrenz« steht. Hört man dann, dass der Nachwuchs der Nachbarn parallel bereits Chinesisch- oder Yogakurse absolviert, fragt man sich schnell, ob man nicht doch zu wenig für
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