Lebenschancen
entscheiden sich dann, den Kinderwunsch aufzuschieben. Auch im Zuge des Zusammenbruchs der DDR und der Neuorientierung im Westen dachten viele junge Ostdeutsche, es sei besser, jetzt erst einmal abzuwarten und dann später loszulegen. Dementsprechend rechneten einige Experten mit einem zeitlich verzögerten Geburtenboom (Schultz et al. 1993). Das hat sich nicht bewahrheitet. Einen Kinderwunsch kann man nicht einfach parken, um dann wieder loszufahren wie mit einem Auto. Zeitliches Auf
schieben birgt immer die Gefahr, dass sich keine andere Gelegenheit mehr findet. Mal fehlt der Partner, dann gibt es neue berufliche Anforderungen, schließlich ist es zu spät.
Die Phase der Familiengründung ist mit anderen kritischen Übergängen des Lebenslaufs zeitlich eng verknüpft. So fallen der berufliche Einstieg und die ersten Schritte in Richtung eigene Familie häufig zusammen und lösen mitunter biografische Turbulenzen aus. Das gilt insbesondere für die Passage zwischen Mitte zwanzig und Mitte dreißig. »Rush hour des Lebens« oder »Lebensstau« sind die Bezeichnungen, die sich dafür eingebürgert haben. Alles muss gleichzeitig passieren: Man muss schauen, ob sich die eigene Qualifikation auf dem Markt behauptet, man muss herausfinden, an welchem Ort man sich verankert und welche Mobilitätsanforderungen auf einen zukommen, man muss anfangen, an die private Vorsorge zu denken, man muss den richtigen Partner finden, der auch noch am richtigen Ort leben sollte, und man muss den Schritt von der Partnerschaft zur Familie wagen. Vieles ist zu leisten, wichtige Koordinaten bleiben unbestimmt, aber diese Weichen sind doch entscheidend, sie legen die materiellen und sozialen Grundlagen für viele Jahre. Wenn sich der Job als Sackgasse herausstellt oder der Partner zum falschen Zeitpunkt abspringt, kann das misslingen. Dass sich viele lange nicht entscheiden können und andere zu falschen Kompromissen neigen, hängt genau mit diesen Unwägbarkeiten zusammen.
Eine Studie der Robert Bosch Stiftung ergab (Höhn et al. 2006), dass die Entscheidung für oder gegen Kinder ein Ergebnis des Abwägens zwischen unterschiedlichen Lebensentwürfen ist. Viele Frauen sehen sich nicht in der Lage, Familie und Beruf auf zufriedenstellende Weise miteinander zu verbinden. Sie sehen sich vor eine Entweder-oder-Situation gestellt, das Sowohl-als-auch wird als schwierig erlebt. Wenn es gelingt, dann vor allem wegen günstiger individueller Umstände (Oma am Ort, gute Betreuungssituation, finanzielle Unabhängigkeit, zeit
lich flexibler und engagierter Partner). Diejenigen, die sich gegen Kinder entschieden hatten, nannten als wichtigsten Grund (60 Prozent), dass sie keinen sicheren Arbeitsplatz hätten. Die Gefahren des Herausfallens aus der Erwerbstätigkeit oder beruflicher Nachteile sind die »Kosten«, die man gegen ein Kind rechnen kann. Immerhin jede zweite Befragte ohne Kinderwunsch gab als Grund an, den jetzigen Lebensstandard beibehalten zu wollen. Ökonomen würden sagen: Mit besserer Qualifikation der Frauen und höheren Einkommenschancen steigen die Opportunitätskosten des Kinderbekommens. Im Gegensatz zu früheren Zeiten ist der »Nutzen« von Kindern in modernen Gesellschaften vor allem emotionaler Natur, nicht mehr, aber auch nicht weniger. So glaubt die große Mehrheit (sowohl derer mit als auch derer ohne Kinderwunsch) nicht, dass Kinder die Fürsorge und Sicherheit im Alter erhöhen würden (ebd.).
Ganz konkret führt die Deregulierung der Arbeitsmärkte heutzutage dazu, dass es länger dauert, bis junge Menschen einen sicheren und unbefristeten Arbeitsplatz gefunden haben. Wer in der Probezeit ist, wer auf einen Folgevertrag angewiesen ist, wer nicht weiß, ob er nach der Elternzeit auf einen Arbeitsplatz zurückkehren kann, für den erscheint ein Kind als Klotz am Bein. Ein Kind, vor allem wenn es jünger als drei Jahre ist, schlägt für viele immer noch negativ zu Buche. Allerdings scheint dieser Zusammenhang nicht in allen Gruppen gleich stark zu sein, vielmehr zeigen sich schichtspezifische Muster: Höher gebildete Frauen neigen bei Arbeitsmarktunsicherheit dazu, die Elternschaft aufzuschieben oder keine Kinder zu bekommen. Anders reagieren viele Frauen mit geringer schulischer und beruflicher Bildung, insbesondere bei Arbeitslosigkeit. Hier wird Mutterschaft mitunter als soziale Alternativrolle angestrebt, um Phasen ohne Job zu füllen (Friedman et al. 1994). In der Mittelschicht konzentrieren sich die Frauen eher auf
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