Lebenschancen
Spielplätzen, Cafés und Bioläden für die gehobene Mittelschicht; »Problemgruppen« konzentrieren sich in abgehängten Vierteln mit Wettbüros, Imbissbuden und Discountern. Letztere können zentrumsnah (etwa der innerstädtische Bezirk Wedding in Berlin) oder am Stadtrand gelegen sein, man denke etwa an die einheitsgraue Großwohnsiedlung Tenever, die in den siebziger Jahren vor den Toren Bremens auf die grüne Wiese gestellt wurde. Zudem lassen sich auch in Deutschland Bewegungen beobachten, die in den USA »white flight« genannt werden (Crowder 2000): Die Angehörigen der »weißen« Mittelschicht verlassen weniger attraktive Gegenden, in denen der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund ansteigt, weil sie fürchten, auch von deren Problemen erfasst zu werden.
Die Biotope der Gutverdienenden und Gebildeten wiederum ziehen Menschen an, die in genau dieses Schema passen. Das liegt nicht nur an der attraktiven Bausubstanz und der guten Einkaufsinfrastruktur, sondern auch an einer Reihe positiver Nachbarschaftseffekte. Homogenität und gemeinsame Inte
ressen stärken das Miteinander, außerdem weisen Kinder aus Mittelschichtvierteln oft unabhängig vom sozioökonomischen Status der Eltern bessere schulische Leistungen als Kinder aus benachteiligten Vierteln auf, was mit dem Vorhandensein von Rollenvorbildern, dichterer sozialer Kontrolle und fördernden Netzwerken zu tun hat (Helbig 2010).
Je mehr solvente Personen und Familien in ein Viertel ziehen, desto höher steigen die Mieten; die ärmeren Alteingesessenen werden verdrängt, ein Prozess, der unter dem Namen Gentrifizierung derzeit in aller Munde ist. Altbauten werden modernisiert und aufgehübscht, größere Wohnungen in attraktive Single- Apartments aufgeteilt, die Quadratmeterpreise steigen. Zwar flackert hier und da Protest gegen die Aufwertung ganzer Quartiere auf, doch der Widerstand versandet oft ohne größere Wirkung. Gentrifizierung vollzieht sich somit häufig unterhalb des Radars der politischen Aufmerksamkeit.
Ich habe bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass von der Mittelschicht nicht die Rede sein kann und dass diese Kategorie Menschen mit verschiedenen Berufen und unterschiedlich hohen Einkommen umfasst. Tatsächlich fallen mittlerweile auch Teile der unteren und mittleren Mittelschicht der Gentrifizierung zum Opfer. Für sie wird es ebenfalls schwieriger, in München-Schwabing, Berlin-Prenzlauer Berg oder dem Hamburger Schanzenviertel finanzierbaren Wohnraum zu ergattern. Selbst wenn es nicht gerade um Traumdomizile geht, finden sie sich bei Besichtigungsterminen inmitten Dutzender Bewerber wieder, sie müssen alle möglichen Unterlagen einreichen und gehen am Ende doch leer aus. Sie betrachten sich dann ebenfalls als »Verdrängte« und beklagen die schleichende Verteuerung einstmals bezahlbarer Quartiere.
Die Bornholmer Brücke in Berlin verbindet zwei ungleiche Teile der Stadt. In der Gegend zwischen Schönhauser und Greifswalder Allee leben heute vor allem hippe bourgeoise Bohemiens sowie gut situierte Familien mit Kindern; auf dem Markt am
Kollwitz-Platz gibt es mediterrane Vorspeisen und allerhand Biogemüse zu kaufen. Die ehrgeizigen »Helikopter-Mütter« aus der Gegend sind mittlerweile über die Grenzen der Hauptstadt hinaus berühmt-berüchtigt. Jenseits des beliebten Mauerparks liegen Gesundbrunnen und der Wedding, die als wenig schicke, abgehängte Viertel gelten, in denen – so das Klischee – vor allem schimpfende Rentner, Arbeitslose in Trainingsanzügen und aggressive Ghetto-Kids leben.
An den Wochenenden sieht man derzeit immer häufiger Umzugslaster über die Bornholmer Brücke ruckeln – allerdings von Ost nach West. Mittelschichtfamilien, die sich die Mieten am Prenzlauer Berg nicht mehr leisten können, ziehen auf der Suche nach billigerem Wohnraum in den deklassierten Wedding. Haben sie es sich dort erst einmal eingerichtet, stellen sich schnell ganz neue Fragen: Können wir den Bugaboo-Kinderwagen im Hausflur stehen lassen? Welche Schule sollen unsere Kinder besuchen, wenn es einmal so weit ist? Was macht man, wenn ein Transporter den Vormittag über unter dem Küchenfenster steht und den Motor nicht abstellt? Wie kann es sein, dass in der Nachbarwohnung eine Scheibe eingeworfen wird und sich über Wochen niemand darum kümmert? Solche alltäglichen Irritationen bergen sozialen Sprengstoff. Und obwohl die Mittelschichtler den Wedding objektiv aufwerten, fühlen sie sich dabei nicht gerade wie
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