Lebenschancen
Potsdam, sie liegt unmittelbar an der historischen Glienicker Brücke und gegenüber des Schlossparks Babelsberg. Die im italienischen Stil gehaltenen Villen und Luxusapartments auf dem 28 000 Qua
dratmeter großen Areal waren in Windeseile verkauft. Die Stadt musste wegen der Anlage zeitweise um den Status als Weltkulturerbe bangen. Eher auf soziale Homogenität denn auf Sicherheit setzen die Firmen hinter dem Konzept Parkstadt 2000, das bislang in Leipzig und Frankfurt am Main realisiert wurde. Daneben schießen in Deutschland mittlerweile allerorts halb geschlossene Wohnanlagen aus dem Boden, die sich mit Bezeichnungen wie »Palais«, »Höfe«, »Gärten« oder »Residenzen« schmücken, Labels, die zweifelsohne mehr Distinktion verheißen als ordinäre Straßennamen.
Ein weiterer Wohntrend, der auch in der Bundesrepublik immer mehr Zuspruch findet, sind schließlich die sogenannten Doormen-Apartments, die man bislang allenfalls aus Filmen über die New Yorker High Society kannte. In den Foyers solcher Wohnkomplexe sitzen dann Portiers in Anzügen oder Uniformen, die ungebetene Gäste abweisen und den wohlhabenden Bewohnern zur Hand gehen. Videoüberwachung ist ebenso eingeschlossen wie diverse Serviceleistungen, von Reinigungs- oder Kurierdiensten bis zur Lieferung von Getränken und Lebensmitteln. Peter Bearman, ein Soziologe von der Columbia University, hat 2005 eine faszinierende Studie über Doormen in New York veröffentlicht, in der er ihre paradoxe soziale Situation beschreibt: Einerseits ist ihr eigener sozialer Status viel niedriger als der der Bewohner; andererseits nehmen sie jedoch intensiv an deren Leben teil. So kommt es zu einem spannungsreichen Nebeneinander von Intimität und sozialer Distanz, ein Verhältnis, das an die Romane von Theodor Fontane oder Thomas Mann erinnert.
Was die Nachfrage nach Dienstleistungen in deutschen Privathaushalten angeht, weisen die Zahlen stark nach oben. Immer mehr Mittelschichtler gönnen sich Babysitter, Kinderfrauen, Pflegerinnen oder Haushaltshilfen, die legal, aber auch illegal beschäftigt werden. Allein die Zahl der in deutschen Haushalten offiziell geringfügig Beschäftigten stieg von 34 000 im Jahr
2003 auf rund 200 000 im Jahr 2009, eine Zunahme, die zum Teil auch mit veränderten Melde- und Beitragspflichten zu tun hat. Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung geht sogar von drei Mal so vielen Beschäftigten in Privathaushalten aus (über 700 000), was bedeutet, dass nach wie vor 70 Prozent dieser Menschen irregulär beschäftigt sind (siehe Gottschall/Schwarzkopf 2010). Haushalte werden somit zu Arbeitgebern, und fremde Gruppen kehren auf diesem Weg in den Nahbereich zurück, allerdings ohne, dass dies zu einer sozialen Durchmischung führen würde. Angehörige unterer sozialer Schichten verschwinden zwar nicht aus den homogener werdenden Quartieren der gehobenen Mitte, sie kommen dort jedoch in erster Linie in ihren Funktionsrollen als Sicherheitsleute, Putzfrauen, Handwerker, Postzusteller oder Hausmeister vor, nicht als Nachbarn oder Bekannte. In diese Verhältnisse sind die Statusunterschiede also immer schon »eingebaut«.
Mobilität und Wanderung als Statusprojekte
Die Segregationsanstrengungen der Mittelschicht verändern die Zusammensetzung und das Zusammenleben im städtischen Raum, führen letztlich zu neuen Hierarchisierungen. Es sind aber nicht nur innerstädtische Residenzentscheidungen, die für die Statusordnung von Relevanz sind, Prozesse der räumlichen Mobilität und Migration verändern sie ebenfalls. In der Migrationsforschung, aber auch in der Anthropologie wird schon sehr lange darüber diskutiert, ob in der Menschheitsgeschichte Mobilität oder Sesshaftigkeit als der Normalfall gelten kann. In der Regel gehen wir allerdings alle davon aus, dass die Menschen meistens an einem bestimmten Ort leben, dort ihre Wurzeln und sozialen Netzwerke haben. Bindungen – Dahrendorf spricht von »Ligaturen« (1979) – sind die Fundamente unseres sozialen Handelns. Nichtsdestotrotz sind Menschen sehr häufig daran
interessiert, ihre Wahlmöglichkeiten zu erweitern und die Herkunftsbindungen wenn nicht abzustreifen, so doch zu lockern. Migration und räumliche Mobilität sind Strategien der Optionserweiterung, die sich heutzutage immer mehr verbreiten (Mau 2007). Im Vergleich zur (vielleicht in der Rückschau nostalgisch verklärten) Wirtschaftswunderzeit sind heute sehr viele Menschen unterwegs, und zwar nicht nur für zwei Wochen im
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