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Lebenschancen

Lebenschancen

Titel: Lebenschancen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffen Mau
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Italienurlaub: Studierende gehen für ein, zwei Semester ins Ausland, junge Leute aus Ostdeutschland arbeiten in den alten Bundesländern, immer mehr Deutsche wandern aus. Was treibt diese Menschen an? Warum machen sie sich täglich, wöchentlich oder ein für allemal auf den Weg?
    Auch hier geht es wieder um das Ergreifen von Chancen und die Sicherung oder Verbesserung des eigenen sozialen Status. Menschen müssen aus den Ressourcen, die ihnen zur Verfügung stehen, das Beste machen – und wenn eine Qualifikation am Heimatort nicht nachgefragt wird, gilt es, mobil zu sein. Tatsächlich kann man empirisch zeigen, dass sich die sozialen Aktionsradien der Menschen zumindest im Westen in der Moderne permanent vergrößert haben. Man hat das entsprechende Verhalten als »social spiralism«, als »moving out to move up« bezeichnet (Watson 1964): Wenn man an Ort und Stelle auf der sozialen Leiter nicht Sprosse für Sprosse vorankommt, nimmt man (im wahrsten Sinne des Wortes) Umwege in Kauf.
    Es gibt eine bemerkenswerte Zunahme mobiler Lebensformen (Schneider et al. 2002). Manche sprechen gar von einer neuen »Kultur der Beweglichkeit« oder einem »modernen Nomadentum«, die Bindung der Menschen an bestimmte Orte werde praktisch aufgehoben (Englisch 2001). Vor diesem Hintergrund ist schließlich so etwas entstanden wie eine Ideologie oder Pflicht zur Mobilität: Wer nicht bereit ist, zu pendeln oder für einen besseren Job in eine andere Stadt zu ziehen, gilt schnell als provinziell, unflexibel und somit als nicht wirklich fit für die Erfordernisse moderner Marktgesellschaften. Nicht nur die Bereit
schaft, sondern auch der Druck zur Mobilität hat sich in den letzten Jahren massiv erhöht.
    Im Alltag der Menschen übersetzt sich das in ganz unterschiedliche Typen der räumlichen Flexibilität: Wir alle kennen Fern- und Wochenendpendler (Ruppenthal/Rüger 2010), Fernbeziehungen über große Distanzen hinweg, Freunde oder Bekannte, die praktisch zwei unterschiedliche Wohnsitze haben, Neffen, Nichten oder eigene Kinder, die im Ausland studieren – und zumindest Dank des Privatfernsehens kennen wir auch Auswanderer, die Deutschland endgültig den Rücken gekehrt haben, um in Spanien, Florida oder anderswo ihr Glück zu versuchen. Bis auf Letztere wollen diese Menschen vorhandene Bindungen an einen Ort mit den neuen Mobilitätsanforderungen so ausbalancieren, dass sich neue und bessere Optionen ergeben.
    Besonders gut lässt sich das am relativ vertrauten Beispiel der Fernpendler illustrieren. Ihnen geht es in erster Linie um eins: Die Familie, vor allem die Kinder, sollen in der vertrauten Umgebung bleiben, während sie selbst andernorts bessere Karriere- und Verdienstmöglichkeiten zu nutzen versuchen. Dabei stellen sich einmal mehr jede Menge Fragen: Lohnt es sich wirklich, dass vertraute Umfeld zu verlassen, wenn ich nur einen befristeten Vertrag habe? Vielleicht bietet sich ja in zwei Jahren eine weitere berufliche Chance in einer anderen Stadt? Kann ich meiner Familie einen Umzug zumuten, wenn nicht klar ist, ob es sich dabei um ein endgültiges Ankommen oder lediglich um eine Zwischenstation handelt? Was gebe ich auf? Was kann ich gewinnen?
    Natürlich könnte man die Familie auch mitnehmen, aber wer weiß schon, ob das mit dem neuen Job in der Ferne wirklich funktioniert? Im schlimmsten Fall droht dann der nächste Ortswechsel, doch mehrfache Umzüge sind teuer und Kindern, die immer wieder neu aus ihrem Umfeld gerissen werden, kaum zuzumuten, schon gar nicht, wenn man in Betracht zieht, wie schwer es ist, eine schöne und bezahlbare Wohnung sowie attrak
tive Betreuungsangebote zu finden und ein neues Netzwerk an sozialen Kontakten zu knüpfen. Oft handelt es sich dabei zunächst um eine mittelfristige Strategie (Schneider et al. 2002), man könnte auch sagen: Pendler fahren auf Sicht. Doch ganz allmählich verstetigt sich dann das ursprünglich temporäre Arrangement, die Macht der Gewohnheit erweist sich als stärker als der Wille zum großen Neuanfang.
    Wie belastend eine solche Lebenskonstruktion sein kann, wurde vielfach nachgewiesen (Limmer/Rüger 2010): Pendler sitzen immer auf gepackten Koffern, sie kommen nie richtig an und sind besonders hart von den Verspätungen der Bahn oder den Unwägbarkeiten des Flugverkehrs betroffen. Mobilität hat dann schnell nicht mehr viel mit Bewegung im Raum zu tun, sondern mit ewigen Verspätungen, mit Stillstand, Ärger und Warten – in komfortablen Lounges, aber auch auf

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