Lebenselixier
Ich
liebe dich. Und ich verdanke dir sehr viel. Aber das ist zu viel verlangt.“
Die Tränen liefen ungehindert über ihr Gesicht. Sie versuchte nicht mehr
dagegen anzukämpfen. Schließlich suchte sie Jeremias Blick.
„Ich muss die Jäger bitten, dir alle Erinnerungen zu nehmen. Du wirst nicht
wissen, wo ich mich aufhalte. So ist es, fürchte ich, am besten.“
Tony sah noch, wie Jeremias nickte, bevor Hannah in schrilles Geschrei ausbrach.
Sie verstand
nicht alles, was Hannah da schrie. Abwechselnd rief sie Gott und sämtliche
Heiligen an und beschimpfte alle Anwesenden als teuflische Kreaturen.
Johann eilte herbei, wie nur ein Bluttrinker es konnte, und binnen Sekunden
hatte er die aufgelöste Frau unter Kontrolle. Er führte sie aus dem Raum.
Erika hing schluchzend in Patricks Armen. Thomas versicherte ihr, wie leid ihm
dieser Auftritt tat.
„Schon gut!“, grollte Patrick. Sein wütender Blick brachte Thomas zum
Schweigen.
Ein Arm schlang
sich von hinten um Tonys Taille. Lukas Duft stieg ihr in die Nase.
„Alles in Ordnung?“
Sie spürte seine Besorgnis und seine Lippen an ihrer Kehle. Sie riss sich vom
Anblick der aufgelösten Erika los und raffte sich zu einem Lächeln auf.
„Mir geht’s gut.“ Sie seufzte tief. „Meine Familie ist nicht sonderlich fromm.
Aber das alles kommt mir trotzdem viel zu bekannt vor.“
„Manchmal gibt es
einfach kein Happy End.“
Tony drehte sich in Lukas Umarmung. Jeremias stand ihr gegenüber.
„Das finde ich gar nicht.“ Sie nickte zu Erika und Patrick hinüber, die
einander grade hingebungsvoll küssten. „Das kommt meiner Vorstellung von Happy
End schon ziemlich nahe.“
Jeremias erwiderte ihr Lächeln, als sei er erleichtert, das zu hören. Er wandte
sich an Lukas.
„Ehe ich es vergesse, hat Sean dich erreicht?“
„Nein“, ihr Gefährte schüttelte den Kopf, sofort ganz im Dienst. „In welcher
Sache?“
Jeremias grinste. „In deiner eigenen. Ich gehe davon aus, dass du noch immer
den Wunsch hast, in meine Truppe aufgenommen zu werden.“
Tony spürte, wie Lukas tief einatmete. Seine Finger gruben sich fester in ihre
Hüfte. Sie zwang sich, nicht zu reagieren, obwohl es weh tat.
„Das tue ich.“ Er räusperte sich, bevor er weitersprach. „Es ist mein Wille und
mein tiefer Wunsch, unserem Volk zu dienen, indem ich die vernichte, die ihm
Schaden zufügen.“
Das war
zweifellos eine von diesen rituellen Floskeln, die ihr schon ein paar Mal
begegnet waren, seit sie mit Lukas zusammen war. Mit halbem Ohr registrierte
sie, dass Lukas und Jeremias sich weiter unterhielten. Sie selbst lauschte den
Worten hinterher. War es das, was die Jäger taten? Es klang ziemlich aggressiv,
gewalttätig geradezu. Und vom Schutz unschuldiger Menschen war nicht die Rede.
„Der vierte
Oktober scheint mir ein angemessener Termin. Der dreißigste September ist dein
letzter Tag als Anwärter.“
„Durch die Probleme im vergangenen Herbst habe ich fast einen ganzen Monat
verloren“, gab Lukas zu bedenken.
Jeremias lächelte gönnerhaft.
„Das spielt keine Rolle. In deinem Fall war die Anwartschaft ohnehin nicht mehr
als eine Formalität. Ich habe niemals ernsthaft daran gezweifelt, dass du die
Voraussetzungen mitbringst.“
Lukas bedankte sich überschwänglich und entdeckte dann seinen Vater, der eben
zurückkehrte. Er eilte zu ihm, wahrscheinlich um ihm die Neuigkeiten
mitzuteilen. Dabei grinste er wie ein sechsjähriger, dem man eine Zuckerstange
geschenkt hatte.
Tony fand sich
allein in Jeremias Gesellschaft wieder. Die Lippen des Bluttrinkers zuckten
verdächtig. Zweifellos bemerkte er Tonys Unbehagen. Bei dem Gedanken stieg ihr erst
recht das Blut in die Wangen.
„Es kommt nicht oft vor, dass die Gefährtin eines Anwärters dabei ist, wenn ich
ihn aufnehme. Nicht in letzter Zeit, jedenfalls. Die Kandidaten sind dieser
Tage zumeist sehr jung.“
Sollte das eine Einladung sein? Ihr fiel auf, dass Nora ihnen aufmerksam zuhörte.
„Du hältst dich gut. Ich bin froh, dass Lukas dich zur Gefährtin hat. Das
erleichtert ihm vieles. Du tust ihm gut.“
Tony neigte dankend den Kopf.
Warum schmeichelte Jeremias ihr? War das ein Manipulationsversuch? Vergeblich
musterte sie das alte, und doch so jugendliche Gesicht. Wer auch immer zu
wissen glaubte, was hinter dieser glatten Stirn vor sich ging, hatte bereits
verloren, so viel stand fest.
„Ich möchte dich
um etwas bitten, Tony.“
„Mich bitten? Um was?“ Ihre Frage klang in ihren eigenen Ohren misstrauisch.
Aber es
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