Lebenselixier
ihm
geschrieben. Sicher verstehst du inzwischen, warum ich dir nicht erklären
konnte, wer er ist.“
Ihr flehender Blick war für die Umstehenden kaum zu ertragen. Hannah schien die
Seelenqual ihrer Schwester nicht zu bemerken. Unvermittelt riss sie ihre
Handtasche auf und kramte darin herum.
Patrick spannte
die Muskeln, war kurz davor, sich auf die Sterbliche zu werfen. Jeremias raunte
ihm etwas zu, was Tony nicht verstand. Doch Erikas Gefährte entspannte sich
erst, als er den Rosenkranz erkannte.
Hannah hielt Erika das kleine, silberfarbene Kreuz entgegen. Es war alt, von Patina
bedeckt. Eins von der Art, an dem eine verkrümmte, dornengekrönte Jesusfigur
hing. Weiße Glasperlen klimperten leise gegeneinander.
„Ich weiß nicht,
wie lange sie mich sprechen lassen“, stieß Hannah gehetzt hervor. „Du musst mir
jetzt ganz genau zuhören! Du glaubst, du bist glücklich. Aber gehe in dich und
denke nach! Du bist von Kreaturen des Teufels umgeben. Wir beide sind das. Ich
weiß nicht, ob sie uns am Leben lassen werden. Aber das ist nicht wichtig.
Wichtig ist, dass du jetzt die Wahrheit erkennst. Dass du die Sünden, zu denen
sie dich verführt haben, bereust.
Bitte, Erika! Nimm das Kreuz und bereue deine Sünden! Dann kann alles noch gut
werden.“
Ein Zittern ging
durch Erikas Schultern. Eine einzelne Träne löste sich von ihren langen,
dichten Wimpern und floss ihre Wange hinab. Einen Augenblick zeichnete sich
unverfälschter Schmerz auf ihrem Gesicht ab.
Tony stellte ihr Glas auf ein zierliches Holztischchen. Auf keinen Fall brachte
sie noch einen Schluck hinunter.
Neben ihr kippte Nora den Champagner in einem Zug. Sie war wütend.
Erika streckte
den Arm aus und ergriff den Rosenkranz.
Hannahs Haltung straffte sich triumphierend. Ihre Augen huschten über die
Umstehenden, als erwartete sie ernsthaft, jemand würde Erika hindern, ihre
Lippen auf das Kreuz zu drücken. Ihr Mund war ungeschminkt, die Lippen
schimmerten in zartem rosa.
Hannah blickte irritiert um sich, als Erika ihrem Gefährten das Kreuz entgegenhielt.
Patrick warf ihr einen fragenden Blick zu, doch auf ihr Nicken hin folgte er
der Aufforderung. Der Bluttrinker drückte seine Lippen ebenfalls auf das kleine
Kreuz.
Hannah schwankte, als könnte sie jeden Moment in Ohnmacht fallen.
Tony sah Thomas ungläubig den Kopf schütteln. Er hatte lange genug versucht,
dieser Frau klarzumachen, dass Bluttrinker keine Dämonen waren.
Erika schenkte ihrem Gefährten ein dankendes Lächeln bevor sie sich wieder
Hannah zuwandte. Sie hielt ihr den Rosenkranz entgegen.
„Der Zauber scheint nicht zu wirken“, meinte sie. Ihre Stimme bebte. „Vielleicht
hat Gott ja gar keine Probleme mit meinem Mann. Oder es ist ihm schlicht egal,
was auf diesem verrückten Planeten passiert. Ich weiß es nicht. So wenig wie
du.“
Hannah machte keine Anstalten den Rosenkranz zurückzunehmen. Erika beugte sich vor
und hing ihrer Schwester die Kette um den Hals.
Hannah betastete nervös die Perlen mit den Fingerspitzen. Sie atmete tief ein
und drückte den Rücken durch. So überragte sie Erika deutlich.
„Sag sowas nicht! Die Kreaturen des Teufels hören es gern, wenn du Gott
lästerst. Weil es dich der Verdammnis immer näher bringt. Kannst du nicht
sehen, dass diese Kreatur“, sie deutete mit ausgestrecktem Arm auf Patricks
Brust, „dich ins Verderben stürzt.“
Der Bluttrinker zog, in gespielter Verwunderung, die Brauen hoch.
„Ich bin so enttäuscht von dir“, stieß Hannah hervor. „Was habe ich falsch
gemacht? Was habe ich nicht getan, um dir den Weg in ein gottesfürchtiges Leben
zu zeigen. Ist es das was du willst, dein Leben in Sünde und Unzucht
verbringen?“
Erika konnte die Tränen nicht länger zurückhalten und wischte sie mit einer
wütenden Bewegung weg.
„Ich will nicht mehr und nicht weniger als jeder andere Mensch. Mit dem, den
ich liebe zusammen sein. Und dabei so glücklich werden, wie es geht. Oder so
unglücklich, wie es sich eben nicht vermeiden lässt.“
Hannahs Schultern machten eine Bewegung, als wollte sie sich aufbäumen.
Vielleicht war es die eisige Präsenz von Jeremias, die sie schweigen ließ, bis
Erika sich gesammelt hatte.
„Vielleicht liegt es daran, dass unsere Eltern so früh gestorben sind. Bestimmt
war es schwer für dich, die Verantwortung für mich zu übernehmen. Das tut mir
leid. Aber ich muss mein eigenes Leben leben, so wie du deins leben solltest.
Ich kann nicht mein Leben damit zubringen, deinem einen Sinn zu geben.
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