Lebenslänglich
Annika. «Aber sie war es nicht, alles, was sie sagte, hat gestimmt.»
«Was? Was hat gestimmt?»
«Wann sie das Haus gekauft hat, dass ihr Lebensgefährte gestorben ist. Ihre Firma, das Auto, das sie fährt. Sie ist ein ehrlicher Mensch.»
Sie hörte, wie Q stöhnte.
«Außerdem ist sie bestimmt nicht mehr da», sagte Annika. «Sie ist eben aufgebrochen.
Sollte irgendwo einen Job erledigen.»
«Wohin? Hat sie gesagt, wohin?»
«Ins Ausland, nehme ich an, sie sagte etwas von einem Pass. Ist die Streife schon unterwegs?»
«Fährt jeden Augenblick los. Tun Sie mir einen Gefallen und halten Sie sich da jetzt raus.»
«Sicher», erwiderte Annika. «Natürlich. Auf jeden Fall.»
Sie saß mit dem Telefon in der Hand da und wäre am liebsten im Erdboden versunken.
Sie hatte Julia zur Verzweiflung gebracht, Yvonne Nordin würde vielleicht ihr Flugzeug verpassen … Was war sie doch für eine Versagerin.
Sie griff nach dem Zündschlüssel, um den Motor wieder anzulassen, doch erstarrte mitten in der Bewegung.
Ihr Flugzeug verpassen ? Tickets? Dass man aber auch immer zu viel einpackt. Das Einzige, was man wirklich braucht, sind doch die Pässe und die Tickets.
Sie ließ den Zündschlüssel los.
Die Pässe und die Tickets?
Wieso redete Yvonne Nordin im Plural? Und wieso brauchte sie mehrere Reisetaschen für eine Geschäftsreise?
Weil sie nicht vorhat, allein zu verreisen.
Weil sie vorhat, ein Kind mitzunehmen.
Sie kaute an ihren eigenen Gedanken.
Jetzt bin ich schon wieder dabei, zu spekulieren.
Man konnte kein Kind ein halbes Jahr eingesperrt halten. Man konnte unmöglich einen vierjährigen Jungen in einer Waldhütte verstecken, ohne dass jemand Wind davon bekam.
Oder doch?
In dem Fall wäre er seit sechs Monaten nicht mehr an der frischen Luft gewesen. Hätte keine Dämme im Bach bauen oder mit der Schaufel im Sand buddeln können. Er hätte keine Bonbons im Auto naschen oder Filme aus der Videothek aussuchen dürfen …
Die Satellitenschüssel! Er hat Kinderfernsehen gesehen!
Sie warf einen raschen Blick auf die Uhr, Viertel nach zwei. In einer Stunde würde es dunkel sein.
Aber Julia hat sie ja tatsächlich wiedererkannt.
Vor ihr lagen einige Stunden Fahrt, aber eigentlich brauchte das Auto ja nicht vor morgen früh zurück zu sein.
Sie zögerte mit der Hand am Schlüssel.
Was, wenn sie entkommt, bevor die Polizei eintrifft? Ich habe eine halbe Stunde Vorsprung.
Sie ließ den Motor an, wendete den Wagen und fuhr zurück nach Garphyttan. Durch den Ort und vorbei am Sportplatz, hinauf durch den Wald und die Kahlschläge, ohne dass ihr ein einziges Auto entgegenkam.
Kann es mehrere Wege dorthin geben? Na klar. Forstwirtschaftswege, und die wären nicht einmal notwendig, nicht mit so einem Wagen.
Mit dem Toyota Landcruiser 100 hatten die amerikanischen Spezialeinheiten den Irak besetzt; Annika kannte ihn aus den Fernsehsendungen. Einmal, als sie die Abendnachrichten sahen, hatte Thomas sich darüber mokiert, dass die USA japanische Autos benutzten, wenn es wirklich drauf ankam.
Yvonne Nordin könnte mit dem Ding quer durch den Wald nach Norwegen fahren, wenn sie wollte.
Sie kam zu dem roten Pfahl, der die Abzweigung zu den Lybacka-Gruben markierte, wo man schon in frühgeschichtlicher Zeit Eisenerz abgebaut hatte. Sie bog in den Weg ein, fuhr hinter eine Kiefer, zog die Handbremse an und stellte den Motor ab. Still saß sie da, lauschte ihren eigenen Atemzügen und sah sich im Wald um. Es war inzwischen richtig stürmisch geworden.
Ich brauche nicht weiterzugehen, es reicht, wenn ich die Augen offen halte. Die Polizei ist ja unterwegs, sie müssten spätestens in einer halben Stunde hier sein.
Sie stieg aus dem Auto und schloss vorsichtig die Tür.
Yvonnes Haus musste fast einen Kilometer Luftlinie entfernt liegen. Annika beobachtete die Bäume, der Wind kam von Nordost. Sie hoffte, dass das Geräusch des Motors nicht bis zur Kate zu hören gewesen war.
Sie nahm ihre Tasche und ging los. Sie war so geistesgegenwärtig, ihr Handy stumm zu schalten. Ihre Schritte knirschten auf dem Weg. Das war nicht gut, deshalb ging sie lieber zwischen den Bäumen weiter. Das Moos schluckte die Geräusche ihrer Tritte mit einem schwachen, schmatzenden Laut.
Es wurde schnell dunkel, vor allem die Baumwurzeln waren kaum mehr zu sehen. Sie musste sehr vorsichtig gehen.
Bald hatte sie den Wendeplatz erreicht. Das Auto war weg.
Sie biss sich auf die Lippe.
So ein Mist.
Dann bemerkte sie, dass die
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