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Lebenslänglich

Lebenslänglich

Titel: Lebenslänglich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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herum, selbst der Wind und die Bäume hielten den Atem an.
    Konzentriert suchte sie nach Hinweisen für die Anwesenheit eines Kindes. Eine Sandkiste, ein Fahrrad, eine Schaufel, irgendwas. Sie trat einen Schritt hinter der Tanne hervor und sah im selben Augenblick eine Frau aus dem Schuppen kommen, mit zwei großen Reisetaschen in den Händen. Die Frau erblickte sie, blieb stehen und stellte die Taschen ab.
    Annikas erster Impuls war Flucht.
    Sie sticht mich ab. Sie schlägt mir auf den Kopf und dann hackt sie mir die Hände ab.
    «Hallo, Sie da!», rief die Frau freundlich. «Haben Sie sich verlaufen?»
    Annika schluckte und trat auf den kleinen Hofplatz.
    «Sieht fast so aus», antwortete sie und ging auf die Frau zu, streckte die Hand aus und grüßte. «Ich bin Annika Bengtzon.»
    «Yvonne Nordin», sagte die Frau und lächelte. Sie wirkte ein bisschen erstaunt, aber nicht beunruhigt. «Kann ich Ihnen irgendwie helfen?»
    Es war die Frau, die sie auf dem Passfoto gesehen hatte, daran bestand kein Zweifel.
    Mittelgroß, aschblonde Pagen frisur unter einer Strickmütze, warme und ein wenig traurige Augen.
    «Ich wollte zu den stillgelegten Minen», sagte Annika. «Die Lybacka-Gruben, die sollen ja hier irgendwo sein. Ist das der richtige Weg?»
    Die Frau lachte laut auf.
    «Sie sind nicht die Erste, die sich verirrt», sagte sie. «Der kleine Waldweg dahin ist unmöglich zu finden. Ich habe den Leuten, die an dem Landschaftsprojekt arbeiten, schon gesagt, dass sie die Minen viel besser ausschildern müssen, aber es ist wie sonst auch. Wenn man es nicht selbst macht, wird nichts daraus.»
    Annika lachte.
    «Dann bin ich also zu weit gefahren?»
    «Ungefähr vierhundert Meter. An der Straße steht ein kleiner roter Pfahl auf der rechten Seite, genau dahinter müssen Sie abbiegen.»
    «Herzlichen Dank», sagte Annika und blickte sich um. Sie wollte auf keinen Fall schon gehen. «Hübsch haben Sie es hier», sagte sie.
    Yvonne Nordin atmete tief ein und schloss genussvoll die Augen.
    «Ich finde es phantastisch», sagte sie. «Ich habe das Häuschen erst seit einem Jahr, aber ich genieße es unglaublich, hier zu sein. Wenn man einen Job wie ich hat, kann man heutzutage überall arbeiten, das ist ein richtiges Privileg.»
    Annika sah ihre Chance und ergriff sie augenblicklich.
    «Wie interessant», sagte sie. «Was machen Sie denn?»
    «Ich bin Beraterin», sagte die Frau. «Ich habe eine Firma, die sich mit Investment und Management befasst. Häufig muss ich für einen längeren Zeitraum in den Firmen anwesend sein, die meine Dienste in Anspruch nehmen, als eine Art mobile Geschäftsführerin, aber sobald ich die Gelegenheit habe, komme ich hierher, um Kraft zu schöpfen und mich zu entspannen.» «Ist es hier nicht sehr einsam?»
    Ehe sie es verhindern konnte, war die Frage aus ihr herausgeschossen, und sie klang viel zu scharf.
    Yvonne Nordin sah sie ein wenig erstaunt an, dann blickte sie zu Boden und nickte.
    «Doch», sagte sie, «manchmal schon.»
    Sie sah Annika an und lächelte.
    «Mein Lebensgefährte ist letztes Jahr gestorben, an Heiligabend. Ich bin noch nicht darüber hinweg. Der Wald gibt mir Trost und Frieden. Ohne diesen Ort hätte ich das letzte Jahr vermutlich nicht überstanden.»
    Annika merkte, wie ihr langsam die Beschämung in Brust und Hals hochstieg. Ihr fiel nichts mehr ein, was sie noch sagen konnte.
    «Ich hätte Sie gern auf eine Tasse Kaffee hereingebeten», sagte Yvonne, «aber ich bin auf dem Sprung.»
    «Die Pflicht ruft?», brachte Annika heraus und schaute auf die Reisetaschen.
    Die Frau lachte.
    «Dass man aber auch immer zu viel einpackt. Das Einzige, was man wirklich braucht, sind doch die Pässe und die Tickets.»
    Annika schulterte ihre Tasche und kämpfte gegen das brennende Schuldgefühl in der Magengegend.
    «Gute Reise», sagte sie, «und danke für Ihre Hilfe.»
    «Keine Ursache», sagte Yvonne Nordin. «Schauen Sie gern mal wieder vorbei…»
    Annika folgte dem Pfad zurück, vorbei an der Stelle, wo sie in den Wald gegangen war und nach dem Bach gesucht hatte, und erreichte die Schranke und ihr Auto.
    Es war deutlich unter null Grad, jetzt begann es auch wieder zu schneien. Sie setzte sich ins Auto, ließ den Motor an und stellte die Heizung auf volle Leistung. Sie schloss fest die Augen und umklammerte das Lenkrad.
    Wie peinlich. Was habe ich für ein Glück gehabt.
    Sie presste die Lider fest zu und spürte die Scham wie eine beginnende Übelkeit den Hals

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