Lebenslang Ist Nicht Genug
eine ganze Weile auf Cindy einreden, ehe die Kleine sich dazu bewegen ließ, wieder an ihren Platz zu gehen.
»Also, was muß ich jetzt sagen?«
Gail betrachtete das Gesicht jeder einzelnen Puppe, ehe sie eine nach der anderen in den Sack zurücksteckte. Dann rappelte sie sich hoch und trat an den Schrank. Cindys Kleider hingen ordentlich in einer Reihe. Ein paar mußten länger, die neugekauften kürzer gemacht werden, und aus anderen war Cindy schlicht und einfach herausgewachsen. Sie wuchs so schnell. Zu schnell, hatte Gail oft gedacht. Ein Schauder lief ihr über den Rücken, als ihr das jetzt einfiel.
Gail schob die Sachen Stück für Stück beiseite und suchte nach dem purpurnen Samtkleidchen. Als sie die ganze Reihe durchgeschaut und sich überzeugt hatte, daß es nicht da war, glaubte sie sich zu erinnern, die Polizei habe es als Beweisstück behalten. Mit einem Ruck riß sie die Kleider von der Stange und stopfte sie in die grünen Mülltüten, die sie an der Tür abgestellt hatte. Binnen weniger Minuten waren der Schrank und die Kommodenschubladen ausgeräumt. Sie warf Steifftiere und andere Spielsachen auf die Kleider, sammelte Puzzles und Gesellschaftsspiele ein und legte sie samt dem Beutel mit den Barbie-Puppen obenauf. Dann band sie die Mülltüten zu und ließ sie stehen.
Sie lief in ihr Schlafzimmer, griff zum Telefon und wählte die Nummer der Heilsarmee. Sie habe Kinderkleidung und Spielzeug, stammelte sie. Die Dame am anderen Ende konnte sie kaum verstehen, weil sie weinte und die Worte halb verschluckte. Wann sie die Sachen abholen würden? Nein, nächste Woche sei zu spät...Ja, übermorgen passe ihr gut. Nein, es sei alles in Ordnung. Sie erwarte sie also übermorgen.
Gail saß auf dem Bett und bebte vor Zorn und Schmerz. Ihre Hände zitterten. Plötzlich überkam sie das unbändige Verlangen, mit jemandem zu sprechen; der Telefonhörer lag immer noch schwer in ihrer Hand. Sie rief Jacks Praxis an und erfuhr von der Sprechstundenhilfe, daß er immer noch operiere. Ob sie etwas ausrichten könne? Gail lehnte dankend ab. Sie wollte den Hörer schon auf die Gabel zurücklegen, doch ihre Finger wählten instinktiv eine andere Nummer. Das Freizeichen piepste in ihr Ohr. Sie saß da und wartete.
»Hallo?« meldete sich die vertraute Stimme.
»Nancy?« flüsterte sie.
»Wer spricht da?«
»Ich bin’s... Gail.«
»Wer? Tut mir leid, aber ich kann Sie nicht verstehen. Sie müssen lauter reden.«
»Hier spricht Gail«, sagte sie, nachdem sie sich geräuspert hatte.
Einen Moment lang blieb es still. »Gail, du meine Güte, ich hab’ deine Stimme nicht erkannt.«
»Ich hab’ geweint.« Selbst durch die Leitung spürte Gail Nancys Unbehagen.
»Ach du armes Ding! Ich wünschte, ich könnte dir helfen. Dieses gräßliche Wetter ist schuld. Der Schnee, weißt du. Alle Welt hat Depressionen. Hast du gehört, Sally Field und Tom Selleck sind in der Stadt. Sie wollen bei uns einen Film drehen, und nun sieh dir an, was für’n Wetter sie haben! Ich meine, kannst du dir vorstellen, was für ein Bild von New Jersey sie mit nach Kalifornien nehmen werden? Mir geht das jedesmal an die Nieren, wenn wir Prominente hier haben, und das Wetter spielt nicht mit.«
»Ich hab’ Geburtstag«, unterbrach Gail Nancys Redeschwall. »Ich werde heute vierzig.«
»O Gott! Kein Wunder, daß du Depressionen hast, du armes Ding! Ich weiß noch genau, wie deprimiert ich an meinem Vierzigsten
war. Den ganzen Tag bin ich im Bett geblieben. Weißt du, was du tun solltest?« Gail begriff, daß Nancy ihr nie die Chance geben würde, über das zu reden, was sie wirklich auf dem Herzen hatte. Nancy war oberflächlich und ichbezogen, aber dumm war sie nicht. Sie hatte bewußt eine Entscheidung darüber getroffen, welchen Problemen sie sich stellen wollte und welchen nicht. Gail und der wahre Grund für ihre Depressionen gehörten zu dem Problemkreis, dem sie sich nicht stellte. »Du solltest dir die Haare machen lassen. Bei mir wirkt das jedesmal Wunder. Ich hab’ ein phantastisches neues Talent bei Tyler entdeckt. Malcolm heißt der Junge, ein wahrer Zauberkünstler! Ruf ihn doch einfach an. Sag ihm, du hast Geburtstag. Vielleicht kann er dich heute nachmittag irgendwo dazwischenschieben...«
»Ich bin beim Hausputz.« Gail hatte plötzlich nur noch den Wunsch, das Gespräch zu beenden.
»Was? Ist das dein Ernst? Gail, wann nimmst du endlich Vernunft an und besorgst dir eine Putzfrau? Soll ich dir eine empfehlen? Als
Weitere Kostenlose Bücher