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Lebenslang Ist Nicht Genug

Titel: Lebenslang Ist Nicht Genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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Rosalina mal krank war und ich mir einfach nicht mehr zu helfen wußte, da hat mir jemand ein großartiges Mädchen besorgt. Warte, wie hieß sie doch gleich? Ach richtig, Daphne! Ihren Nachnamen weiß ich nicht, ist aber auch unwichtig. Sie war einfach fabelhaft! Ich hab’ die Telefonnummer. Hast du was zum Schreiben?«
    Gail zog die Schublade ihres Nachttischs auf, kramte Papier und Bleistift heraus und schrieb gehorsam die Nummer auf, die Nancy ihr diktierte.
    »So, und jetzt rufst du sie gleich an. Hast du mich verstanden? Du solltest keinen Hausputz machen. Und schon gar nicht an deinem Geburtstag. Glaub mir, ich mein’s doch nur gut mit dir. Geh zum Friseur und laß dir die Haare machen. Schon als wir uns das letzte Mal sahen, dachte ich, Gail braucht’nen anständigen Haarschnitt. Und gönn dir’ne Massage, du weißt doch, wie das entspannt. Gott, ich weiß nicht, in welchem Zustand meine Nerven wären, ohne meine wöchentliche Massage! Besonders,
seit ich in letzter Zeit so viel mit dem Rücken zu tun habe. Hach, wie die Zeit vergeht! Jetzt muß ich aber wirklich los. Brauchst du sonst noch irgendwas?« fragte sie zaghaft.
    »Nein, und hab vielen Dank.« Gail legte Papier und Bleistift zurück und machte die Schublade zu.
    Als sie den Hörer wieder ans Ohr nahm, war die Leitung tot; sie preßte ihn an die Brust, bis ein aufdringlicher Piepston erklang und sie ermahnte, den Hörer aufzulegen. Erschrocken sprang sie auf und riß dabei den Apparat zu Boden. Sie beugte sich vorsichtig hinunter und legte den Hörer auf die Gabel. Das Piepsen verstummte.
    Sie dachte daran, Laura anzurufen, unterließ es dann aber. Laura würde ihr sofort verzeihen und sich überdies vielmals für ihre eigenen verbalen Ausrutscher entschuldigen. Sie würde versuchen, Gail aufzuheitern und ihr dringend raten, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Aber Gail wollte keine ärztliche Hilfe. Und sie wollte auch keine Aufmunterung. Gail stieg die Treppe hinunter und verbrachte die nächsten Stunden damit, die Küchenschränke sauberzumachen.
    Das Service, das Jack und sie bei ihrer Hochzeit angeschafft hatten, war noch fast komplett. In all den Jahren hatte sie nur einen Teller zerbrochen, und zwei Untertassen hatten in der Spülmaschine einen Sprung bekommen. Jetzt fiel ihr erst ein großer Teller aus der Hand und dann ein zweiter. Beide zerbrachen auf den harten Fliesen. Als Gail alle Schränke aus- und nach dem Säubern wieder eingeräumt hatte, lag die Hälfte des Geschirrs in Scherben im Abfalleimer unter der Spüle. Sie wußte nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Sie hatte dieses Lalique-Service immer gemocht, besonders das Sträußchen roter und gelber Blumen inmitten der weißen Teller mit grünem Rand. Sie hatte gelesen, daß dieses Modell ausgelaufen sei. Es würde schwer, wenn nicht unmöglich sein, die zerbrochenen Teile zu ersetzen. Cindy hatte dieses Geschirr geliebt und immer von seinen »lachenden Blumen« geschwärmt.

    Gail kniete sich auf den Boden, sammelte die restlichen Scherben ein und betrachtete traurig die nun entwurzelten, verstreuten Blumen. Sie wußte, daß es große Mühe kosten würde, ihrer Familie diesen Vorfall zu erklären. Sie warf Stück für Stück in den Abfalleimer unter der Spüle. Als sie sich vorbeugte, um mit der Rechten eine halbmondförmige Scherbe aufzuheben, deren gelbe Blüte den Stiel verloren hatte, bohrte sich ein kleineres Porzellanstück in das Handgelenk ihrer Linken, mit der sie sich abgestützt hatte. Blut sickerte aus der Wunde, und Gail sah fasziniert zu, wie die Tropfen, roten Tränen gleich, in ihren Schoß fielen und auf ihren Jeans dunkle Flecken hinterließen. Aber der Schnitt war harmlos und das Blut bald gestillt.
    Gail hielt den Porzellanhalbmond hoch, der einmal Teil eines Frühstückstellers gewesen war. Sie berührte damit ihr Handgelenk und mimte einen schnellen, scharfen Schnitt. Nein, das würde nicht gehen, dachte sie und fuhr sich mit der Scherbe der Länge nach über den Arm. Wenn man ins Krankenhaus wollte, schnitt man quer; wollte man sterben, schnitt man genau an der Vene entlang. Dann konnte niemand mehr die Blutung stillen. Sie drückte die Kante der Scherbe gegen ihren Arm, doch die war nicht scharf genug, um sich ernsthaft daran zu verletzen.
    Was sie brauchte, war ein Messer. In der obersten Schublade verwahrte sie ein ganzes Sortiment. Sie erhob sich und warf auch diese letzte Scherbe in den Abfalleimer. Dann zog sie die oberste Schublade

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