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Lebenslang Ist Nicht Genug

Titel: Lebenslang Ist Nicht Genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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auf.
    Die Messer lagen der Größe nach nebeneinander. Gail streckte die Hand nach einem aus, und ihre Finger umklammerten den Holzgriff. Sie nahm das Messer aus der Schublade, hielt es an ihren Arm und versuchte den Verlauf der Vene abzuschätzen. Es wäre schnell vorüber, dachte sie. Schon nach Minuten würde sie tot am Boden liegen, um sie herum eine Blutlache. Sie preßte die Klinge gegen ihre Haut.
    Das Telefon klingelte.
    Fast wie im Kino, dachte sie und hätte beinahe gelacht. Sie ließ
es drei-, viermal klingeln, entschied aber dann, es sei ratsam, den Hörer abzunehmen. Wenn Jack anzurufen versuchte und sie sich nicht meldete, würde er womöglich Verdacht schöpfen, auf dem schnellsten Wege heimkommen und sie gerade noch rechtzeitig ins Krankenhaus bringen. Vielleicht war es aber auch Lieutenant Cole, der anrief, um ihr mitzuteilen, er habe den Schuldigen gefunden. Diesen letzten, bitteren Triumph durfte sie dem Mörder ihrer Tochter nicht gönnen.
    »Grüß dich, mein Kind! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.« Es war die Stimme ihrer Mutter.
    Gail lächelte. Ihre Mutter paßte auf sie auf, beschützte sie sogar, ohne es zu wissen. Sie hatte das bei ihrem eigenen Töchterchen nicht geschafft.
    Gail hörte zu, wie ihre Mutter ihr versicherte, sie habe das Leben noch vor sich. Weder unterbrach sie den munteren Redeschwall, noch antwortete sie, daß der Rest ihres Lebens ein einziges Warten auf den Tod sei.
    Nach dem Telefonat legte Gail das Messer in die Schublade zurück. Die Zeit dafür war noch nicht gekommen. Erst mußte sie ihre Aufgabe beenden und Cindys Mörder zur Strecke bringen. Eins nach dem anderen, beschloß sie.

26
    Gail saß auf dem Bett in ihrem Zimmer in der Amelia Street 44, als es klopfte.
    »Wer ist da?« Erschrocken fuhr sie auf. Sie hatte dieses Zimmer schon fast zwei Wochen, und doch geschah es zum erstenmal, daß jemand bei ihr anklopfte. »Wer ist da?« wiederholte sie, als es draußen still blieb. Wahrscheinlich die Hauswirtin, dachte sie und ging zur Tür. Sie versuchte sich zu erinnern, ob sie die Miete für heute schon bezahlt habe. Vorsichtig öffnete sie.

    »Ich hab’ gehört, Sie suchen mich.« Er drängte sich lässig an ihr vorbei ins Zimmer und machte die Tür hinter sich zu.
    Gail antwortete nicht. Sein Anblick hatte ihr die Sprache verschlagen.
    »Nick Rogers.« Er genoß sichtlich ihr Unbehagen. »Falls Ihnen der Name entfallen sein sollte.«
    Er trug ein schwarzes T-Shirt und Bluejeans, die Uniform seiner Generation. Sein Haar war geschnitten worden, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte. Ansonsten war er derselbe Junge, dem sie vor zwei Wochen bis zu diesem Haus gefolgt war und den wiederzusehen sie schon fast die Hoffnung aufgegeben hatte. Jetzt stand er vor ihr, blickte sie herausfordernd an und versuchte, sie zum Sprechen zu bringen.
    Gail betrachtete. sein glattes, faltenloses Gesicht. Er war höchstens zwanzig. Das Blau seiner Augen war so klar wie das Wasser in den Tropen. Die Nase war schmal und gerade, er hatte einen kleinen Mund, aber volle Lippen. Unter anderen Voraussetzungen und in einer anderen Umgebung hätte man ihn ohne weiteres hübsch nennen können. Gail war von ihrer eigenen Objektivität überrascht.
    Ihr Blick glitt an seinem Körper hinunter. Er war ungefähr so groß wie Jack, etwa einen Meter fünfundsiebzig, und wog um die 63 Kilo, vielleicht auch weniger. Unter den engen, ausgewaschenen Jeans lugten seine schwarzen Lederstiefel hervor. Wie war das möglich, fragte sie sich, daß all diese Jungs, wie arm sie auch sein mochten, genug Geld für Lederstiefel hatten?
    »Möchten Sie was zu rauchen?« Er zog eine selbstgedrehte Zigarette aus der Jackentasche und zündete sie an. Der schwere, süßliche Duft von Marihuana erfüllte das Zimmer. Gail schüttelte den Kopf. »Sie sollten’s mal versuchen. Das würde Sie von Ihren Problemen ablenken.« Er lächelte. »Und Sie haben doch Probleme?« fügte er überflüssigerweise hinzu, ehe er ihr den Joint hinhielt.
    Gail räusperte sich und versuchte, ihrer Stimme Herr zu
werden. Schließlich brachte sie ein kaum hörbares »Nein« heraus.
    Wie oft schon hatte sie sich gewünscht, ihren Schmerz mit Alkohol oder Drogen betäuben zu können, dachte sie, während sie zusah, wie er inhalierte und den Rauch in der Lunge festhielt. Aber wenn sie abends mehr als ein Glas Wein trank, wurde sie nur müde und ein bißchen wacklig auf den Beinen. Scharfe Sachen dagegen schmeckten ihr nicht gut genug, um sich

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