Lebenslang Ist Nicht Genug
Glück haben, erschießt einer den Dreckskerl. Jawohl, man sollte das Schwein erschießen.«
»Aber Dave.« Die mahnende Stimme ihrer Mutter.
»Sie werden ihn finden«, wiederholte ihr Vater unbeirrt.
»Aber wenn ich᾽s mir recht überlege, ist erschießen zu gnädig für so einen. Dasselbe gilt für die Gaskammer oder den elektrischen Stuhl. Diese Bestie sollte man langsam töten. Man müßte ihm die Eier abschneiden und ihm die Eingeweide mit bloßen Händen aus dem Leib reißen. Ich wäre dazu imstande. Das weiß ich genau!« Seine Stimme versagte. Kraftlos ließ er sich in einen Sessel fallen.
»Grausamkeit bringt uns unsere Cindy auch nicht zurück.« Gails Mutter nahm ihre Tochter tröstend in die Arme.
»Zumindest könnte dieses Schwein seine Tat nicht wiederholen«, schnaubte Gails Vater. »Und seine Visage wäre für immer von dieser Erde verbannt.«
»Ich bin ganz deiner Meinung, Dad.« Die Stimme kam aus der hinteren Ecke des Zimmers. Gail blickte über die Schulter ihrer Mutter in das Gesicht ihrer jüngeren Schwester Carol. Wie bleich und schmal sie war! Die Geschwister fielen sich in die Arme.
»Gail, o Gail, es ist so furchtbar«, schluchzte Carol.
»Carol, daß du da bist!« Gail spürte, wie ihre Glieder taub wurden. Ihre Beine versagten den Dienst. »Ich muß mich setzen«, sagte sie gerade noch rechtzeitig, ehe sie wegsackte. Arme umfingen sie und führten sie zum Sofa, wo emsige Hände ihr Kissen unterschoben und ihren Kopf gegen die Lehne betteten. Als sie wieder zu sich kam, saß sie zwischen Mutter und Schwester. Im Ohrensessel gegenüber dem Sofa erblickte sie ihren Vater. Er hatte das Gesicht in den Händen vergraben.
Jack stand immer noch am Fenster. Er schien unfähig, sich zu rühren. Er hat niemanden, der ihn trösten könnte, dachte Gail. Sein Vater war tot, und seine Mutter, mit der Gail ein herzliches, wenn auch nicht sonderlich enges Verhältnis verband, mußte erst
noch gefunden werden. Jack war ein Einzelkind, und jetzt stand er ganz allein. Er hat niemanden außer mir, schoß es Gail durch den Kopf. Sie rutschte zur Seite und streckte die Hand nach ihm aus. Jack setzte sich bereitwillig zwischen sie und ihre Schwester. Aber dann waren es seine Arme, die sie umfingen und trösteten. Typisch Jack, dachte Gail und lehnte ihren Kopf an seine Brust.
Reglos und schweigend saßen sie da. Es gab ja auch nichts zu sagen. Der Fremde im Gebüsch hatte das letzte Wort gehabt.
Es klopfte zaghaft. Lieutenant Cole, den Gail bisher gar nicht bemerkt hatte, öffnete die Tür. Jennifer kam hereingelaufen, und Gail erhob sich gerade noch rechtzeitig, um das Mädchen aufzufangen, das weinend in ihren Armen zusammenbrach. Gail bedeckte die nassen Wangen ihrer Tochter mit Küssen. Dann merkte sie, daß Jennifer nicht allein gekommen war. Mark und Julie, Gails Exmann und seine Frau, sowie Jennifers Freund Eddie hatten ihre Tochter begleitet. Mark und Eddie, dachte Gail mit einem Blick auf den Kommissar. Seine beiden Hauptverdächtigen.
Mark und Julie traten zu ihr, und Mark nahm sie wie selbstverständlich in die Arme. Ich hatte ganz vergessen, daß er soviel größer ist als Jack, dachte Gail. Doch schon nach wenigen Augenblicken spürte sie die gleiche Atemnot, die sie in den Armen ihres Vaters empfunden hatte. Sie machte sich los und wandte sich Julie zu. In ihrer Umarmung fühlte sie sich wohler.
»Wenn wir irgendwie helfen können«, sagte Julie, »dann bitte, laß es uns wissen. Wenn du möchtest, daß Jennifer noch eine Weile bei uns bleibt...«
»Ich danke euch, aber ich glaube, im Augenblick gehört sie nach Hause. Trotzdem, vielen Dank für alles.«
»Hat die Polizei schon was herausgefunden?« Julie blickte sich nach Lieutenant Cole um.
»Die Polizei glaubt, Mark hätt’s getan.« Gail lachte, und alle blickten sie verstört an. War das Lachen wirklich so laut gewesen, wie es in ihren Ohren widerhallte?
Gail wandte sich Jennifers Freund zu. »Und wenn Mark es nicht war, dann du, Duane - sagt die Polizei.« Warum sehen mich auf einmal alle so komisch an? In Gedanken wiederholte Gail ihre Worte. »Ach, Eddie«, korrigierte sie sich eilig. Sie mußte über ihren Irrtum lachen. Ich hab’ gar nicht gewußt, daß unbewußte Assoziationen so lustig sein können, dachte sie. Lieutenant Cole scheint sich gar nicht wohl zu fühlen in seiner Haut. Ob er den Witz verstanden hat, der in meinem Fehler steckte? Oder ist er noch zu jung, um sich an die Zeit zu erinnern, als der
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