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Lebenslang Ist Nicht Genug

Titel: Lebenslang Ist Nicht Genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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vorzeitig abgeholt hat. Dann wäre ich bei Unterrichtsschluß vor der Schule gewesen und hätte auf Cindy gewartet. Wir wären zusammen nach Hause gegangen. Ihr wäre nichts geschehen. Sie wäre noch am Leben, wenn ich nur daheimgeblieben wäre. Aber ich war nicht da. O Gott, es ist alles meine Schuld!«
    Lauras Stimme klang auf einmal hart und streng. Ihre Arme
hielten Gail nicht mehr tröstend, sondern fordernd umfangen. Ihre Finger bohrten sich in Gails Rücken. »Jetzt hör mir mal zu! Hör mir gut zu, damit du jedes Wort behältst, das ich dir jetzt sagen werde, und es dir ins Gedächtnis zurückrufen kannst, wann immer du wieder solche Gedanken hegst. An dem, was passiert ist, trifft dich keine Schuld. Es gibt nicht das geringste, was du hättest tun können, um das Unglück abzuwenden. Wenn, wenn, wenn! Es gibt kein gefährlicheres Wort in unserer Sprache als dieses >wenn<. Wenn ich dies nicht getan hätte, wenn ich doch nur jenes getan hätte. Du hast’s eben nicht getan. Und daran kannst du, verdammt noch mal, nichts ändern. Mit diesem ewigen >wenn< machst du dich höchstens verrückt. Hast du mich verstanden?«
    Gail strich ihrer Freundin über das weiche, blonde Haar. »Ja«, flüsterte sie beruhigend. »Ich danke dir für alles.«
    Sie schrak zusammen, als plötzlich Mike, Lauras Mann, neben sie trat. Sie hatte ihn bisher nicht bemerkt. »Ich glaub’, wir sollten jetzt gehen«, mahnte er freundlich. »Gail braucht Ruhe.«
    »Ich hab’ in den letzten Tagen nichts anderes getan, als mich ausgeruht.«
    »Möchtest du, daß wir bleiben?« fragte Laura.
    Gail schüttelte den Kopf. »Nein, geht nur. Mike hat recht. Obwohl ich so viel geschlafen hab’, bin ich müde.«
    Laura beugte sich über sie und küßte sie auf die Wange. Dann trat sie zur Seite, um ihrem Mann Platz zu machen. Gail spürte Mikes warmen Atem, als seine Lippen ihr Haar berührten. Im Geist sah sie einen Mann hinter einem Gebüsch. Sein geiler Mund streifte die Wange ihres Kindes. Gail schrak unwillkürlich zurück, und ein Schauer fuhr ihr den Rücken hinunter. Mike strich ihr sanft über die Wange. Gail wußte, daß seine Hand ihr Trost spenden wollte, doch seine Finger brannten wie glühende Eisen auf ihrer Haut, und als er die Hand zurückzog, da fühlte sie sich gedemütigt und verletzt. »Paß gut auf dich
auf.« Mike stutzte und fügte hinzu: »Ich hab᾽ grad gemerkt, was für’ne leere Floskel das ist.«
    Jack brachte Laura und Mike zur Tür, als das Telefon läutete. Gail versuchte sich aufzurichten, doch Jack war schneller. Er stürzte ins Zimmer und hob beim vierten Klingeln ab.
    »Nancy ist dran«, sagte er und hielt die Hand über die Muschel. »Willst du mit ihr sprechen?«
    Gail nickte, stand auf und nahm den Hörer entgegen. Sie freute sich darauf, Nancys Stimme zu hören.
    »Wie geht es dir?« fragte Nancy. »Mein Gott, als ich’s in den Nachrichten hörte, könnt᾽ ich’s zuerst einfach nicht glauben. Mir war so elend! Geht’s dir einigermaßen? Du Ärmste mußt ja völlig am Boden sein. Allein der Gedanke daran, daß wir einkaufen waren, als es passierte... Ich hab’ irgendwie das Gefühl, an allem schuld zu sein... So als wär᾽ das Ganze mein Fehler...«
    »Sei nicht albern, Nancy.« Gail versuchte die Freundin mit dem gleichen Argument zu trösten, das ihr Laura vor ein paar Minuten entgegengehalten hatte. »Dich trifft doch nun wirklich keine Schuld!«
    »Nein, nein, und im Grunde weiß ich das ja auch...« Gail bewunderte die Geschicklichkeit, mit der Nancy im Handumdrehen die eigene Person zum Gesprächsthema gemacht hatte. Sie kann sich unmöglich vorstellen, was ich durchmache, dachte sie. Ihre beiden Kinder haben kaum Kontakt mit ihr. Als sie noch klein waren, hat sie die zwei kaum beachtet, und als sie nach der Scheidung bei ihrem Vater leben wollten, da hat Nancy sie als undankbar verstoßen. Jedesmal, wenn ich in ihrer Gegenwart den Fehler mache, von meinen Töchtern zu schwärmen, zeigt sie dieses wissende Lächeln und sagt: »Wart’s nur ab, bis sie’n bißchen älter sind, dann trampeln sie dir auf’m Kopf rum. Du wirst’s schon noch erleben!« Wie sollte ausgerechnet Nancy verstehen, was in mir vorgeht? Ob überhaupt jemand begreift, was ich empfinde?
    »Ich danke dir für die Blumen«, sagte Gail aufrichtig. »Es war
wirklich rührend von dir, mir zwei so schöne Sträuße zu schikken.«
    »Sind sie wirklich schön?« Nancys Stimme klang plötzlich unsicher. »Ich wußte nicht recht, was

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