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Lebenslang Ist Nicht Genug

Titel: Lebenslang Ist Nicht Genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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ich dir schenken sollte. Eigentlich war ich mir gar nicht sicher, ob du Blumen passend finden würdest...«
    »Rosa war Cindys Lieblingsfarbe«, sagte Gail aus dem Wunsch heraus, etwas von ihrem Kind mit ihrer Freundin zu teilen.
    Ein unbehagliches Schweigen folgte.
    »Wir sollten wohl besser Schluß machen, damit du dich ausruhen kannst«, meinte Nancy schließlich. »Ich ruf᾽ dich morgen wieder an. Oder nein, vielleicht solltest du mich anrufen. Dann brauch’ ich keine Angst zu haben, daß ich störe oder dich bei irgendwas Wichtigem unterbreche. Machst du das, Gail?«
    »Bitte?«
    »Rufst du mich morgen an, wenn du’n Moment Zeit hast?«
    »Ja, sicher«, antwortete Gail mit klangloser Stimme.
    »Versprichst du’s mir?«
    Mami, wenn wir sterben, können wir’s dann zusammen tun? Hältst du mich dabei an der Hand? Versprichst du’s mir?
    »Ich versprech’s dir«, sagte Gail und legte auf.
     
    In dieser Nacht träumte Gail, sie und Cindy bestiegen einen überfüllten Bus. Es schien immer enger zu werden, je weiter sie sich zur Mitte zwängten. Der Bus hatte keine Sitze, deshalb mußten sie stehen, eingezwängt zwischen unzähligen schwitzenden Leibern. Nach ein paar Minuten schien die Luft dünner zu werden. Der Mann hinter ihr wurde scheinbar ohnmächtig, aber weil die Leute wie in einer Sardinenbüchse zusammengepfercht waren, fiel er nicht um. Gail mußte sein Gewicht tragen. Sein Kinn bohrte sich in ihren Nacken. Aber sie spürte keinen Atemhauch. Daran erkannte sie, daß der Mann tot war. Plötzlich öffneten sich die Türen, die Menge strömte nach draußen und riß
Cindy mit sich fort. Gail suchte vergeblich nach ihrem Kind, ihre tastenden Hände griffen ins Leere. Auf einmal fand sie sich am Eingang zum Memorial Park wieder. Sie war jetzt ganz allein. Außer sich vor Angst rannte sie durch die Anlagen. Aber sie sah und hörte niemanden. Dann bog sie um eine Ecke und war plötzlich im Kaufhaus Bloomingdale in Short Hills. Hier traf sie die Leute aus dem Bus wieder, die wahllos alles kauften, was ihnen vor die Augen kam.
    Gail spähte über die Köpfe der Menge hinweg auf einen jungen Mann, der zu einem Gebüsch lief. Er trug eine Bloomingdale-Tüte, die sich zu bewegen schien. Entsetzt erkannte Gail, daß Cindy in dieser Plastiktüte steckte. Verzweifelt bahnte sie sich einen Weg durch die Menge. »Kann ich Ihnen helfen?« fragte eine Verkäuferin. Sie trat vor und faßte nach Gails Arm. Gail stieß sie zurück. Die Frau rief um Hilfe, aber Gail drängte sich unbeirrt weiter durchs Gewühl. Als sie sich endlich durch die Menge gezwängt hatte, war der junge Mann im Gebüsch verschwunden. Gail rannte hin, konnte aber nichts entdecken. Sie wirbelte herum. Die Menge war wie weggezaubert. Gail war ganz allein. Sie hörte ein Geräusch und wandte sich um, aber hinter ihr war niemand. Doch dann sah sie etwas am Boden liegen, halb im Schlamm vergraben. Sie machte einen Satz, riß die Bloomingdale-Tüte an sich und machte sie auf. Im selben Augenblick ertönte aus dem Gebüsch ein seltsames Männerlachen. Die Sträucher schlossen sich um sie. Fieberhaft zerrte sie ein Päckchen aus der Plastiktüte, warf sie fort und starrte auf das zerfetzte Etwas in ihren Händen.
    Ein Kinderkleid aus rotem Samt.
    Sie erwachte von ihrem eigenen Schrei.
    »Alles klar«, hörte sie Jack draußen vor der Schlafzimmertür zu ihren Eltern sagen. »Sie hat schlecht geträumt, aber jetzt ist’s wieder gut.«
    Jack kam zurück ins Bett und nahm sie in die Arme. »Ist’s wirklich wieder gut?« fragte er leise.

    Gail nickte und schmiegte sich fester an ihn. Sie machte die Augen ganz weit auf, so als könne sie damit die Traumbilder fernhalten.
    »Möchtest du’ne Schlaftablette?«
    »Nein, bloß keine Tabletten mehr.« Sie spürte, wie die Wärme seines Körpers sie durchströmte, bis sie aufhörte zu zittern.
    »Hab’ ich dich geweckt?«
    »Nein. Ich hab’ nicht geschlafen.«
    »Vielleicht solltest du ’ne Tablette nehmen? Wie spät ist es?«
    Jack beugte sich vor und sah nach dem Wecker auf seinem Nachttisch. »Halb vier«, sagte er.
    »Halb vier«, wiederholte Gail und wußte, daß auch er die Bedeutung dieser Stunde erkannt hatte. Cindy war gegen halb vier ermordet worden.
    Jack schloß die Augen, und Gail betrachtete nachdenklich seine buschigen Brauen. Welches Grauen mußten deine Augen erdulden, als du gezwungen warst, den toten Körper unseres Kindes zu identifizieren? Wie hat sie ausgesehen, unsere Cindy? wollte Gail

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