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Lebenslang Ist Nicht Genug

Titel: Lebenslang Ist Nicht Genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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ihm folgte. Der Junge blieb unvermittelt stehen und verschwand in einem Eckhaus. Gail näherte sich vorsichtig. Sie wußte noch nicht, was sie sagen sollte, als sie bereits auf die Klingel gedrückt hatte.
    »Was gibt’s?« fragte die Frau, deren graues Haar auf altmodische Lockenwickler gedreht war.
    »Haben Sie ein Zimmer frei?«
    »Tut mir leid, alles belegt.« Die Frau wollte die Tür schließen.
    »Warten Sie«, bat Gail. »Ich suche jemanden.«
    »Irene, wer ist denn da?« rief eine ungeduldige Männerstimme aus dem Innern des Hauses.
    »Ich weiß nicht, wie er heißt«, fuhr Gail rasch fort, als sie merkte, daß die Frau es eilig hatte, sie loszuwerden. »Er ist etwa einsfünfundsiebzig groß, schlank und noch ziemlich jung. Er hat langes, dunkelblondes Haar. Trägt’ne gelbe Windjacke...«
    Die Hauswirtin schüttelte den Kopf.
    »Er ist eben hier reingegangen, ich hab’ ihn selbst gesehen.«
    »Irene, wer, zum Teufel, ist denn da?«
    »Ach, sei doch still. Bloß’ne Frau, die’n Typ mit blonden Haaren und gelber Windjacke sucht.«
    »Sag ihr, sie soll im Branchenbuch nachsehen!« Der Mann lachte, offenbar stolz auf seinen dürftigen Humor. Gail hörte ihn zur Tür kommen, und einen Augenblick lang fürchtete sie, er könne der Junge sein, dem sie gefolgt war. Aber als seine massige Gestalt im Türrahmen erschien, stellte sie erleichtert fest, daß ihre Befürchtung grundlos gewesen war. Er bedeutete ihr mit einer ungeduldigen Handbewegung zu gehen.

    »Warte mal«, sagte die Frau, als die Tür ins Schloß fiel. »Vielleicht meint sie Nick Rogers vom dritten Stock.«
    »Ich kenne keinen Nick Rogers«, sagte der Mann, und Gail hörte drinnen Gelächter erschallen.
    Sie stand vor der verschlossenen Tür und blickte hinauf zum dritten Stock. Nick Rogers, wiederholte sie stumm. Nick Rogers.
    »Nick Rogers«, flüsterte sie später am selben Abend ins Telefon.
    »Tut mir leid, aber ich kann Sie nicht verstehen. Sie müssen schon etwas lauter sprechen.« Lieutenant Coles Stimme klang freundlich, wenn auch etwas müde.
    Gail wiederholte ihre Botschaft ein wenig lauter, versuchte aber, ihre Stimme nicht zu heben, um sich nicht zu verraten.
    »Nick Rogers, Amelia Street 44 in Newark. Er hat die kleine Walton umgebracht. Im April.«
    »Wer spricht, bitte?« Lieutenant Cole versuchte, gelassen zu klingen, doch sein Interesse war offenbar geweckt.
    Gail schenkte der Frage keine Beachtung. Als sie weitersprach, zitterte ihre Stimme. »Mein Name tut nichts zur Sache. Nick Rogers. Amelia Street 44, Newark. Die kleine Walton. Überprüfen Sie’s.«
    Sie legte den Hörer auf und verbarg das Gesicht in den Händen. Sie zitterte am ganzen Körper. Hatte der Kommissar ihre Stimme erkannt? Wußte er, daß sie es war, die ihn angerufen hatte? Gail nahm die Hände vom Gesicht und starrte auf den Telefonapparat.
    Sie war völlig überrascht gewesen, als Lieutenant Cole sich gemeldet hatte. Sie hatte damit gerechnet, daß irgendein diensthabender Polizist den Anruf entgegennehmen würde. Es war schon nach acht. Sie hatte angenommen, der Kommissar sei längst zu Hause. Hatte der Mann denn gar kein Privatleben? An welchem Fall er wohl jetzt arbeiten mochte? Wie würde er auf ihren Anruf reagieren? Würde er ihn ignorieren, weil sie sich geweigert hatte,
ihren Namen preiszugeben? Oder würde er sich die Mühe machen, Nachforschungen anzustellen? Hatte er ihre Stimme erkannt?
    »Stimmt was nicht?« Jack stand in der Tür.
    Gail zuckte zusammen.
    »Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.« Er trat neben sie und strich ihr sanft über den Rücken. »Geht’s dir gut?«
    »O ja, danke.« Gails Stimme war heiser und trocken.
    »Du klingst, als kriegtest du’ne Erkältung.«
    »Ach, das glaube ich nicht.«
    »Na, dann ist’s ja gut.« Jack ging zum Kühlschrank und nahm die Milch heraus. »Möchtest du auch ein Glas?« Gail schüttelte den Kopf. »Mit wem hast du gerade gesprochen?«
    »Wie?«
    »Mir war so, als hätte ich dich telefonieren hören.«
    »Nein«, log Gail.
    »Führst du etwa wieder Selbstgespräche?« versuchte Jack zu scherzen.
    Gail antwortete nicht, ihre Gedanken kreisten noch immer um Lieutenant Cole. Hatte er ihre Stimme erkannt? Würde er Nick Rogers überprüfen? »Gail, fehlt dir was?«
    »Nein, mir geht’s gut«, antwortete Gail und hoffte, sie habe die Frage richtig verstanden.
    »Ich hab’ mir überlegt, daß wir vielleicht für ein paar Wochen nach Florida fahren könnten...«
    »Jetzt nicht«,

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