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Lebenslang Ist Nicht Genug

Titel: Lebenslang Ist Nicht Genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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Ecke saß ein älteres Paar; beide blickten stumm in ihre Kaffeetassen. Drei Gäste hatten an der Theke Platz genommen - eine Frau weit über Sechzig, die mit Harry flirtete wie ein alberner Teenager, ein Schwarzer mit grüner Baskenmütze und ein etwa dreißigjähriger Weißer, der sich tief über seine Kaffeetasse beugte; ein
Mann mit bulligem Körper, Stiernacken und dichten, ungepflegten dunklen Locken.
    Gail lehnte sich mit dem Rücken an die Wand hinter ihrem Bett. Im Geiste sah sie sich gestern beim Essen, dann die Rechnung bezahlen und das Lokal verlassen. Aus den Augenwinkeln hatte sie gesehen, wie der Mann mit den dunklen Locken seinen Kaffee hinunterkippte und aufstand. Aber sie hatte ihn nicht weiter beachtet.
    Und doch hatte sie ihn eine knappe Stunde später wiedergesehen. Mit einem Ruck setzte sie sich auf, ihre Finger zuckten nervös. Sie war zur National State Bank gegangen, einen kleineren Betrag abzuheben. Als sie wieder auf die Straße hinaustrat, war er dagewesen. Sie hatte kaum Notiz von ihm genommen, aber jetzt sah sie ihn in der Erinnerung ganz deutlich vor sich, wie er an dem Schild einer Bushaltestelle lehnte und sich ostentativ eine Zigarette anzündete. Er hielt den Kopf gesenkt, den Oberkörper nach vorn gebeugt, die Hand vor dem Gesicht, so als sei er einzig darauf bedacht, sein Streichholz vor dem Wind zu schützen. Aber es war zweifellos derselbe Mann, den sie in Harrys Imbißstube gesehen hatte. Der Mann, der gerade ein Zimmer genau gegenüber dem ihren gemietet hatte.
    Verfolgte er sie?
    »Entschuldigen Sie«, sagte Gail wenige Minuten später zum Hauswirt. Sie stand vor seiner Wohnung im Erdgeschoß. »Ich wollte nur mal fragen, wer der Mann ist, der das Zimmer mir gegenüber gemietet hat.« Sie behielt die Treppe wachsam im Auge.
    »Warum fragen Sie ihn das nicht selber?« Gelangweilt blickte der Hauswirt an ihr vorbei.
    »Das möchte ich lieber nicht tun«, antwortete Gail ausweichend. »Ich hatte gehofft, Sie könnten mir helfen.«
    »Ich hab’ kein Vermittlungsbüro. Sie wollen wissen, wer er ist, also fragen Sie ihn.«
    Gail begriff, daß die Unterhaltung für ihn beendet war, noch ehe der Hauswirt ihr die Tür vor der Nase zuschlug. Sie stand allein
im Flur und überlegte, was sie jetzt tun solle. Möglicherweise war der Mann rein zufällig hier eingezogen; vielleicht verfolgte er sie nicht, und seine Anwesenheit im Restaurant und vor der Bank, ja sogar sein Erscheinen in dieser Pension waren nichts weiter als eine Kette von Zufällen. Möglich, dachte sie, aber höchst unwahrscheinlich.
    Sie hörte Schritte aufs Haus zukommen. Die Eingangstür öffnete sich, und zwei junge Männer betraten Hand in Hand das Haus. »Alle Mann in den Schützengraben!« tönte der übliche Schrei durch den Flur. Gail zog den Mantel fest über der Brust zusammen und eilte hinaus.
     
    Es war zwar kalt, aber windstill, als Gail eilig die Straße entlanglief. Es riecht nach Regen, schoß es ihr durch den Kopf, während sie in Gedanken immer noch in ihrem winzigen Zimmer weilte. Wieder hörte sie die Schritte auf der Treppe, sah den Mann auf der anderen Seite des Flurs, erkannte, daß sie ihn schon früher gesehen hatte, wußte, daß er ihr folgte. Warum?
    »Kann ich was für Sie tun?« hatte er gefragt.
    Ja, antwortete sie ihm jetzt. Sie können mir verraten, wer Sie sind. Sagen Sie mir, warum Sie mich verfolgen. Sagen Sie mir, was Sie von mir wollen.
    Vielleicht bin ich der Mann, den Sie suchen, meinte er.
    Nein, antwortete sie rasch und schüttelte den Kopf. Der können Sie nicht sein. Der Mann, den ich suche, ist größer, schlanker, jünger und hat helleres Haar als Sie.
    Warum folge ich Ihnen denn dann?
    Gail bog um die Ecke.
    Sie können’s nicht sein, hätte sie beinahe laut gesagt. Cindys Mörder war blond und schlanker; er war jünger und größer. Sie können nicht der Mann sein, den ich suche. Sie sind zu stämmig, zu breit gebaut, zu dunkel, zu alt.
    Warum folge ich Ihnen also?
    Und dann sah sie ihn. Er war größer, schlanker, blonder, jünger.
Er ging etwa fünfzig Meter vor ihr her, und mit jedem Schritt vergrößerte sich der Abstand zwischen ihnen. Sie sah nur seinen Rücken, aber das genügte ihr. Er war mittelgroß, gut gewachsen und hatte langes, aschblondes Haar. Er wirkte sehr jugendlich. Er trug Bluejeans und eine gelbe Windjacke. Gail stockte der Atem. Es begann zu nieseln. Sie hatte ihn gefunden. Sie hatte Cindys Mörder gefunden.
    Gail wartete ein paar Minuten, ehe sie

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