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Lebenslang

Lebenslang

Titel: Lebenslang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schwindt
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Polizistin lächelt schüchtern. Im Gegensatz zu dem Mann hat sie nur einen Stern auf der Schulterklappe. Der ist zwar silbern, doch es sieht aus, als mache sie diesen Job noch nicht lange. Schumacher setzt sich und legt seine Mütze auf den Tisch. Er wirkt routiniert, als er aus seiner Tasche ein Formular zieht. Sein Kugelschreiber klickt.
    »Sie haben gesagt, dass Ihre Tochter nicht nach Hause gekommen ist. Wie lange vermissen Sie sie schon?«
    »Seit heute Nachmittag um vier«, sage ich.
    Schumacher trägt die Zeit in ein freies Feld ein. »Der Vorname Ihrer Tochter lautet?«
    »Julia«, sagt Astrid. »Sie ist zehn Jahre alt.«
    »Geboren wann?«
    »Am fünfundzwanzigsten Mai. Sie hatte erst vor 14 Tagen Geburtstag.« Astrid bricht wieder in Tränen aus.
    Ich lehne am Rahmen der Küchentür und weiß nicht, wohin mit meinen Händen. Die beiden Polizisten an unserem Esstisch verändern den Raum, das Haus, meine ganze Wahrnehmung. Vor meinen Augen bekommt meine heile Welt einen Riss. Ich ahne auf einmal, dass dies der Beginn eines Albtraums ist, von dem ich nicht die geringste Vorstellung habe, wie schlimm er wird. Meine Frau, meine Freunde und ich sind nur noch Statisten. Andere Hauptdarsteller haben die Bühne betreten, und sie tragen Uniform. Die Angst, dass etwas Schreckliches geschehen sein könnte, erhält jetzt ihre amtliche Beglaubigung.
    Die beiden Polizisten nehmen Julias Personalien auf. Sie erfassen ihre Augenfarbe, ihre Haarfarbe, ihre Größe, ihr Gewicht, ihre unveränderlichen Kennzeichen.
    »Julia hat eine Narbe an der linken Braue«, sage ich und deute mit dem Zeigefinger auf dieselbe Stelle an meinem Auge. »Mit vier Jahren ist sie mal vom Roller gefallen, hier vor der Haustür.« Mein Gott, was hatte sie geblutet. Es sah schrecklicher aus, als es dann schließlich war. Als hätte man ihr einen Becher mit roter Farbe ins Gesicht geschüttet. Der Riss musste mit mehreren Stichen genäht werden. Die Erinnerung an diesen Tag lässt den Schlag meines Herzens für einen Moment aussetzen. Als sie so verletzt war, hatten wir sie trösten können, war sie in Sicherheit. Ich hatte Julia die ganze Zeit im Arm. Doch wir wussten nach dem Besuch im Krankenhaus, dass sie außer dieser kleinen Narbe nichts zurückbehalten würde.
    »Was hat Julia getragen?«, fragt Schumacher weiter. Er ist kräftig. So massig, dass Polizeikommissarin März, die kein Wort sagt, neben ihm verschwindet.
    »Ein rotes T-Shirt, eine abgeschnittene Jeans und rote Turnschuhe«, sagt Astrid. Ihre Stimme bricht, Wieland zieht sie zu sich heran und umarmt sie. Der Polizist macht sich zusätzliche Notizen. Dann reicht er das Formular seiner Kollegin, die offensichtlich weiß, was damit zu tun ist, denn sie steht auf und geht hinaus.
    »Und Sie sind sich sicher, dass Julia nicht bei einer Freundin sein könnte?«
    »Ja, wir haben schon überall angerufen«, sagt Astrid.
    »Haben Sie sich vielleicht gestritten? Kommt ja in den besten Familien vor, und bei Zehnjährigen bekommt man langsam einen Vorgeschmack auf die Pubertät.«
    Schumacher hat ein Kind, denke ich erleichtert. Er versteht unsere Angst. Für ihn ist das kein Routinefall! »Wir haben uns nicht gestritten«, sage ich und schaue meine Frau fragend an.
    »Nein, es ist fast unmöglich, sich mit Julia zu streiten. Sie kann Auseinandersetzungen nicht leiden. Eher gibt sie nach«, sagt Astrid. Sie nimmt sich ein neues Tempotaschentuch. Ich stelle mich hinter sie, lege meine Hand auf ihre Schulter und drücke sie ganz sacht. Es ist nur eine kleine Bewegung, mit der sie antwortet, doch sie sagt mir, dass sie meine Berührung nicht möchte. Ich ziehe die Hand zurück.
    »Meine Tochter ist da das genaue Gegenteil«, sagt Schumacher und seufzt. Dann, als ihm einfällt, warum er hier ist, zeigt sein Gesicht wieder diese professionelle Ernsthaftigkeit.
    »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Ein Wasser?«, fragt Astrid.
    »Das wäre nett von Ihnen, danke schön.«
    Meine Frau will aufstehen, doch Oliver kommt ihr zuvor. »Bleib sitzen.« Er geht auf die Terrasse und kommt kurz darauf mit einer Flasche und zwei Gläsern zurück.
    Es klingelt, und wieder zucken wir zusammen. Es ist die Polizistin. »Entschuldigung«, murmelt sie, als ich öffne. »Ich habe aus Versehen die Haustür geschlossen.«
    »Ist schon okay«, sage ich und lasse sie herein.
    »Die Vermisstenanzeige ist durchgegeben«, sagt sie Schumacher, der gerade sein zweites Glas füllt. »Der Einsatz hat höchste

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