Lebenslang
ich ihm.
»Entschuldigen Sie bitte?«, fragt Rodenkirchen.
»Ich will Ihre Fähigkeiten nicht in Zweifel ziehen«, versuche ich zu erklären. »Sie sind mit Sicherheit ein hervorragender Polizist. Doch wenn es Ihnen nichts ausmacht, möchte ich nur mit Herrn Schumacher sprechen. Ist das in Ordnung für Sie?«
Der Polizist scheint nicht überrascht zu sein. Entweder ist er professionell genug, um das nicht persönlich zu nehmen, oder er ist einfach abgestumpft. »Kein Problem. Es wird sich trotzdem nicht vermeiden lassen, dass wir beide miteinander zu tun haben, denn ich bleibe der Leiter dieses Einsatzes. Damit werden Sie leben müssen.«
»Okay«, sage ich nur.
Rodenkirchen steht auf und geht. Ich weiß nicht, warum, aber in diesem Moment sehe ich in ihm einen Feind. Insgeheim gibt er uns eine Mitschuld an Julias Verschwinden. Natürlich würde er das niemals zugeben. Aber ich vermute, er ist Polizist genug, um zu glauben, dass jeder Mensch lügt.
Zum ersten Mal bin ich jetzt mit Astrid alleine. Ich nehme sie in die Arme, und diesmal lässt sie es geschehen. »Es wird gut«, flüstere ich. »Alles wird gut, hörst du?«
Astrid schaut mich an, als hätte sie nicht richtig verstanden. Sie lässt mich los. »Wie kannst du so etwas versprechen? Weißt du, wo Julia ist? Was ihr zugestoßen ist? Kannst du mir garantieren, dass es ihr gut geht?« Sie schaut mich wütend, fast herausfordernd an und verzieht das Gesicht zu einem abschätzigen Grinsen, als ich ihr keine Antwort gebe. »Das kannst du nicht. Und solange du das nicht kannst, halt einfach den Mund, ja?«
»Hör zu, mich macht die Sache genauso fertig wie dich.« Ich zische ihr die Worte ins Gesicht, aus Furcht, uns könnte jemand hören. »Ich habe auch Angst, dass Julia etwas zugestoßen ist. Also tu nicht so, als wärst du die Einzige, die hier am Rande eines Nervenzusammenbruchs steht. Ich habe nur versucht, dich zu trösten, okay?«
»Alles wird gut? Damit willst du mich trösten?« Ihr Blick ist voll bitterer Verachtung, und ich weiche erschrocken einen Schritt zurück. »Geh lieber und suche deine Tochter!«, sagt sie, als hätte ich Julia wie einen Regenschirm irgendwo vergessen.
Schumacher tritt zu uns auf die Terrasse. Entweder merkt er nicht, dass wir uns gestritten haben, oder er sieht darüber hinweg. »Rodenkirchen hat die Fahndung ausgeweitet. Der Kriminaldauerdienst wurde informiert. Die Fahrer der HSB wissen Bescheid, genau wie alle Taxiunternehmen der Gegend.«
»Was können wir tun?«, frage ich.
»Das kommt darauf an. Mittlerweile hat es sich herumgesprochen, dass Julia vermisst wird. Wenn Ihnen das zu viel ist, sollten Sie das Haus nicht verlassen. Sie können aber auch mit der Sache offensiv umgehen und fragen, ob Ihnen die Nachbarn helfen. Das liegt bei Ihnen.«
»Fabian wird nach Julia suchen«, sagt Astrid, bevor ich eine Antwort geben kann. »Ich bleibe so lange hier, falls sie in der Zeit nach Hause kommt. Jemand sollte dann da sein.«
Ich schweige. Das ist jetzt nicht der Moment, um einen Streit darüber vom Zaun zu brechen, wer von uns beiden bestimmt, was zu tun ist.
Schumacher nickt. »Okay. Wir haben mittlerweile bei Julias Lehrerin angerufen und uns eine Klassenliste geben lassen. Die Kollegin März telefoniert sie gerade durch. Bisher ohne Ergebnis.«
Astrid ist wie betäubt. Ich spüre, wie sie sich immer mehr verschließt. Eigentlich, so denke ich, müssten wir in so einem Moment zueinanderstehen, uns gegenseitig Mut oder Trost zusprechen. Aber sie hält mich auf Distanz, lässt mich nicht an sich heran. Auch Schumacher scheint das aufzufallen.
»Hören Sie, ich weiß, dass Sie gerade eine schwere Zeit durchleben«, sagt er. »Vielleicht sollten Sie in Betracht ziehen, mit jemandem zu sprechen, der Sie professionell unterstützen kann.«
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen«, sagt Astrid. Sie klingt misstrauisch, abweisend.
»Wir arbeiten mit Psychologen und Seelsorgern zusammen, die Menschen in Ihrer Situation begleiten …«
»Julia ist nicht tot!«, schreit sie ihn an, so laut, dass es selbst durch die geschlossene Terrassentür zu hören sein muss, denn alle, die im Wohnzimmer stehen, drehen sich zu uns um.
Schumacher merkt, dass er einen Fehler gemacht hat. Er verzieht ärgerlich das Gesicht. »Tut mir leid, so habe ich das auch nicht gemeint.«
»Es ist mir egal, wie Sie das gemeint haben!« Ihre Stimme überschlägt sich. »Stecken Sie sich Ihre Psychologen sonst wohin, und sorgen Sie lieber dafür,
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