Lebenslauf zweiter Absatz
Raubmord aus.
Reden wir jetzt schon von Raubmord? schrie mein Vater. Warum klagt denn keiner auf Sexualverbrechen?
Weil du dich auf Pumprunde befunden hast, antwortete Jacques Staroski, und er grinste wie einer, der einen Witz nicht hat lassen können und nun die Maulschelle dafür erwartet.
Siehst du, Rosi, sagte Frau Birke, nun bleibt das doch an der Frau hängen!
Frau Kirschbeet rief: Dat möt wi allens umschmieten!, und Herr Binder hob in Ohnmacht die Hände.
Um jetzt einmal mit dem Unfug aufzuhören, sagte mein Vater, habe ich nur die Frage: Kann mir einer aus der versammelten Nachbarschaft sagen, was ich der Frau Persokeit in die Börse stecken könnte? Ist hier einer, der mir etwas gegeben hat, das ich nun an Frau Persokeit weiterreichen könnte? Er wandte sich von den Nachbarn ab und sagte zu meiner Mutter voll Grimm: Ich hoffe nur, die Herrschaften bleiben dabei, daß sie mir nichts gegeben haben, denn was sie mir nicht gegeben haben, das kann auch nicht verschwunden sein.
Mir schien eine gewagte Beleidigung unserer Nachbarn in den Worten meines Vaters zu stecken, aber ich konnte sie nicht ganz packen, und unseren Besuchern schien es ähnlich zu gehen. Sie standen unentschieden vor der Tür und wußten nicht, in welcher Haltung sie sich entfernen sollten.
Meine Mutter wollte es ihnen wohl erleichtern, und sie sagte vage: Danke jedenfalls für alles …
Warum ausgerechnet diese beinahe leere Redensart das vermochte, weiß ich nicht, aber Herr Heiliger sagte, wenn er auch äußerst klamm sei, könne er doch zwei Mark leihweise dalassen.
Frau Pragl legte eine Mark dazu und sagte: Schließlich sammelt man auch für Abgebrannte!
Und hier ist es nur geliehen, Rosi, sagte Frau Birke zu Frau Schley, und beide fanden je zwei Mark in den Kittelschürzen.
Frau Diebel hatte wieder etwas, wodurch sich eine Kohlenhändlerin unterscheiden konnte: fünf blanke Mark.
Herr Binder wollte fünfzig Pfennige beisteuern, aber die schob mein Vater zurück. Dafür nahm er ohne Zögern drei erstaunliche Mark von Frau Schwattner, und er quittierte mit einem Blick, der mir unordentlich schien. Frau Kirschbeet gab eine Mark, und sie enttäuschte mich, weil sie nicht sagte, daß alles umgeschmissen gehöre. Auch Jacques Staroski sprach nicht mehr. Wortlos zählte er das Geld, und weil er die Raten von Frau Persokeit kannte, legte er zu den sechzehn Mark vier aus der eigenen Tasche. Dann nahm er das Portemonnaie von Frau Persokeit, schob die Münzen über die Tischkante hinein und legte die Börse neben die Tote im Rollstuhl.
Nun waren alle sehr zufrieden, bis mein Vater fragte: Wann hat sie eigentlich das Geld von mir gekriegt?
Das verwirrte nicht nur mich, und alle dachten über eine Antwort nach, und Frau Schwattner machte endlich den Vorschlag: Vielleicht sofort, gleich nachdem sie zu Ihnen ins Haus gekommen war?
Doch darüber brauchte mein Vater gar nicht erst nachzudenken,und diesmal hatte er auch keinen unordentlichen Blick, als er sprach: Und warum bin ich dann trotzdem auf Pumptour gegangen?
Frau Pragl war die erste, die sich durch diese Erkundigung zu einer Umkehr bewegen ließ. Sie meinte: Da wird Frau Persokeit das Geld wohl doch erst nachher gekriegt haben.
Dann ist sie also wann gestorben? fragte mein Vater, und er kam mir nun sehr wie mein Vater vor.
Es könnte vor Freude gewesen sein, sprach Frau Birke zu Frau Schley, was meinst du, Rosi, könnte die alte Dame, wie sie das viele Geld gesehen hat, vor Freude gestorben sein?
Einige der Nachbarn schienen sich an Rosis Kichern beteiligen zu wollen, aber mein Vater ließ sie nun nicht aus. Demnach, sagte er, habe ich von neun verschiedenen Personen nicht eben erst, sondern vorhin schon, als ich die Bettelrunde machte, einen Gesamtbetrag von zwanzig Mark erhalten?
Und warum sollte das nicht so gewesen sein? murrte Herr Heiliger.
Ja, warum wohl? knurrte mein Vater zurück, doch in sachlichem Ton fuhr er fort: Noch einmal: Frau Persokeit ist fällig, wir haben keinen Pfennig, ich gehe pumpen, neun Nachbarn leihen mir insgesamt zwanzig Mark, ich zahle Frau Persokeit, die inzwischen bei mir zu Hause eingetroffen ist, die Rate, und Frau Persokeit verstirbt in aller Stille.
Alles klar! sagte Herr Binder, und weil es nicht dazu gepaßt hätte, hob er diesmal nicht seine leeren Hände.
Sonnenklar, fuhr mein Vater fort, auf diese Geschichte leisten wir und die neun Nachbarn zusammen zwölfEide, und alles ist gut. Nur schulde ich jetzt statt der Frau Persokeit
Weitere Kostenlose Bücher