Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
Vom Netzwerk:
geht, ist es recht aufwendig, und manchmal klingt es fast bedrohlich. Und ich dachte: Das Leben ist ein kompliziertes System, und zwar nicht nur im ganzen, sondern auch in allen seinen Teilen.
    Ich liebe es, mir solche Gedanken zu machen; zumal seit ich allein lebe, habe ich zunehmend Freude daran. Und meine Neugier auf Menschen ist gewachsen, was mich eigentlich wundern sollte, denn kurz nach der Scheidung hatte ich von anderen Leuten nicht das geringste mehr wissen wollen. Aber jetzt sah ich mit Anteilnahme zu, wie sich der Schwintsche Kundenkreis in gleichmäßig zügiger Bewegung an der behenden Bäckersfrau vorbeidrehte, und ich hatte mein Vergnügen an dem flinken Austausch zwischen ihr und der Kundschaft. Es war ein Genuß von ausschließlich technischer Natur, mit dem ich Frau Schwint zusah und auch zuhörte, aber als in einer warmen Wolke von Semmelduft der Meister in den Laden trat, um frisches Backwerk zu bringen, sah ich doch lieber nach dem Prasselkuchen und den Schweineohren. Wozu sonst hatte Frau Lörke mich gewarnt?
    Der Bäcker grüßte, und die zwölf Kunden im Laden grüßten zurück, und am Ton war zu hören, daß sich einKönig seinem Volke zeigte. Der König füllte die Lücken im Weißbrotregal auf; er konnte das, ohne hinzusehen. Er musterte uns mit einem Interesse, das nicht verwundern sollte. Schließlich buk er seine raren Köstlichkeiten für uns, und da mußte es ihn schon kümmern, ob er es mit Genießern oder Banausen zu tun hatte. Schließlich stand er unseretwegen auf in der tiefen Nacht, da durfte er uns so prüfend betrachten. Schließlich gab er Genuß in unser Leben ein, da war er zu Blicken berechtigt.
    So weit, so gut, nur verfuhr der Mann beim Blicken seltsam. Zwar übersah er niemanden, aber von den einen waren seine Augen rasch wieder fort, und auf den anderen ruhten sie lange. Für die acht Frauen im Laden, seine eigene nicht mitgezählt, brauchte er nicht soviel Zeit wie für einen von uns vier Männern, und von denen wieder bekam ich den Löwenanteil.
    Diese Auskunft ist nichts zu meinen Gunsten und kommt auch nicht von Eitelkeit. Ich war neu, und es war eine Frage des Alters der anderen Herren. Wer weiß, welche Art Leben sie grau und krumm gepreßt hatte; sie waren aber altersgrau und alterskrumm, und kein Bäcker mit einer jungen Frau mußte sich ihretwegen noch hitzige Gedanken machen.
    Meinetwegen mußte das auch keiner tun, kein Bäcker noch Fleischer noch Tuchscherer mußte das. Es war unverheilt, was eine Scheidung mir zerrissen hatte. Ich war auf frische Brötchen aus und nicht auf neue Damen.
    Was der Bäcker nicht wissen konnte und was ihn auch nichts anging. Ich wollte lediglich Austausch von Geld gegen Ware, und in solchem Verkehr ist Seelisches störend. Wir werden einander, dachte ich und gab ihm seinen Blick zurück, durch nichts als Zahlung verbundensein, und was das Sinnliche betrifft, so soll es damit beim Biß ins frische Brötchen sein Bewenden haben.
    Es wird Einbildung gewesen sein, aber mir schien, als beruhigte sich der argwöhnische Handwerker. Er zog zwei Leinenbeutel aus der Kitteltasche, einen weißen und einen karierten, und begann, aus dem doch schon erlesenen Gebäck allererlesenste Stücke auszulesen. In den karierten Beutel kamen acht Schrippen von erstaunlichem Ebenmaß und von erstaunlich gleicher goldbrauner Farbe, und der weiße Beutel wurde mit zehn sehr unterschiedlichen Proben aus dem Sortiment gefüllt, mit hellen und dunklen Brötchen, mit flachen und hohen Knüppeln und mit zwei Hörnchen, eines knusprig und eines milchweißweich.
    Es war ersichtlich Übung von lange her, die den Meister beim Wählen und Füllen leitete, und der Vorgang schien zu den Morgenbräuchen zu gehören, denn niemand außer mir zeigte sich daran interessiert oder gar verwundert darüber. Ich war verwundert, gebe ich zu; der Bäcker hatte meine ganze Aufmerksamkeit, und dadurch merkte ich, daß ich auch seine hatte.
    Man sieht es dem Rücken eines Mannes an, ob es den Mann kümmert, daß man vorhanden ist. So sah ich, wie ich eben bei der Meisterin an der Reihe war, wie sehr ihr Gatte meinen Worten lauschte. Die hatten eigentlich nur: Zwei Schrippen, bitte! lauten sollen, doch sagte ich statt dessen: Sechs Schrippen, bitte, zwei scharfe, zwei helle und zwei normale, wenn’s geht!
    Wollte man mich nach einer Erklärung fragen: Ich war wohl angeregt von den größeren Posten, die der Meister persönlich betreute. Mir schien es, so denke ich mir,

Weitere Kostenlose Bücher