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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Aber ich habe daran gedacht.
    Mein Vater strich meiner Mutter ganz sacht mit den Fingerspitzen über eine Augenbraue. Es schien mir von allen Vertraulichkeiten jene zu sein, deren Zeuge ich nicht werden durfte.
    Mein Vater sagte: Vorn in der Reihe von denen, die einmal so etwas gedacht haben, stehe ich.
    Aber du hast es nicht getan, sagte meine Mutter, und mein Vater antwortete: Du ja auch nicht. Und ich wußte, obwohl es mich nichts anging, daß meine Eltern sich liebten.
    Die werden wissen wollen, wie es gekommen ist, sagte mein Vater, und er schien die ganze Welt damit zu meinen.
    Meine Mutter sah zu Frau Pragl hinaus, die sich an unserer Pforte mit Herrn Heiliger unterhielt, und sie sagte:Keiner wird es glauben. Keiner glaubt Frau Persokeit, daß sie so gestorben ist. Und mir glaubt das auch keiner.
    Was denkst du von uns? entgegnete mein Vater, aber meine Mutter sagte nur: Ja, ihr!
    Aber dann wischte sie das mit einer energischen Bewegung aus. Es war nicht wichtig, hieß das, wichtig war nur, was sie jetzt erzählte: Ich habe gedacht, wenn ich etwas weiß, das sie nicht vertragen kann, dann sage ich es. Ich dachte, ich sage ihr, wie die Leute über sie denken. Ich dachte, das kann doch keiner aushalten, wenn er hört, er ist schlimmer als eine Made. Ich wollte sie Mehlwurm nennen. Wirklich, ich hätte sie totärgern wollen.
    Davon hätten wir viel gehabt, sagte mein Vater, und ich begriff, daß die tote Frau Persokeit alles war, was wir davon hatten.
    Nun kommt Jacques Staroski, sagte meine Mutter, und als ob das ausgerechnet von Jacques Staroski abgehangen hätte, setzte sie hinzu: Dann muß jetzt einer hinaus und Bescheid geben. Sagt Bescheid, Frau Persokeit hat hier gesessen, und ich habe hier gesessen, und sie hat nichts gesagt, und ich habe nichts gesagt, und dann habe ich gemerkt, daß sie tot war. In aller Stille.
    Meine Mutter kam beinahe ins Nachdenken über so schönen Tod, aber dann wies sie mich an: Du gehst zu Wachtmeister Lange und meldest, hier ist ein Todesfall. Und den Nachbarn sagst du, sie können kommen. Nein, sag, sie sollen kommen, ganz schnell!
    Ich stürmte hinaus, und als ob meine Nachricht nicht genug der Nachricht wäre, suchte ich nach gemäßer Form für sie. Und auch für mich. Ich hatte die Windfangtür noch nicht ganz aufgestoßen, als ich mich fragte, ob man der Ungeheuerlichkeit nicht eher entspricht,indem man erschrocken aus der Türe taumelt. Ob man sich nicht an die Kehle greifen muß, um dem nachzuhelfen, was nur stockend einen Ausgang findet. Ob ein gebrochenes Wispern passend sei und hinzukriegen wäre. Ob ich wohl die Bleichheit von Frau Persokeit und auch von meiner Mutter auf meine Wangen zu übertragen wüßte.
    Daran, daß ich von meinen Backen als von Wangen dachte, merkte ich, daß ich dem Übertreiben nahe war, und aus der Tür trat ich, als gelte es nur, Verspätung auf dem Schulweg aufzuholen. Ferner gelang es mir, die Nachbarn an unserer Pforte erst zu bemerken, als ich kurz vorm Zusammenprall mit ihnen war. Ich sagte: In aller Stille! Und so tonlos, wie es nur gehen wollte, fügte ich hinzu: Frau Persokeit ist in aller Stille entschlafen, und meine Mutter sagt, Sie sollen schnell reinkommen!
    Die Nachbarn hätten mich umgerannt, wäre ich ihnen nicht in die Stauden ausgewichen, und vom Sog, der ihnen folgte, wäre ich fast mitgerissen worden. Aber Wachtmeister Lange brauchte die Nachricht. Oder wir brauchten, daß Wachtmeister Lange die Nachricht bekam.
    Aus der Unentschiedenheit zwischen Botenpflicht und Zeugenneugier half mir einer der beiden Kruligk-Söhne. Seit die Kruligks abgebrannt waren, hatte Demut sie geschlagen. Auch die beiden Söhne, die lange Doppelketten aus anderer Leute Schneidezähnen hätten um ihre Hälse tragen können, wenn so indianische Bräuche bei uns in Geltung gewesen wären. Die Söhne hießen Bogumil und Ulf. Ich sagte zu Bogumil: Magst du wohl Wachtmeister Lange ausrichten, daß Frau Persokeit tot in unserer Küche sitzt?
    Ohne die neue Demut hätte Bogumil mir mindestens zwei Zähne entnommen, denn so seltene Nachricht trug man entweder selber aus, oder sie war erfunden. Aber dies war ein abgebrannter Kruligk-Sohn, und der antwortete: Ich gehe hin!, und von allen denkbaren Fragen lautete seine: Wer wird denn nun den Rollstuhl kriegen?
    Ich lief ins Haus und kam hinzu, wie meine Mutter erzählte, sie habe Frau Persokeit gerade vom Zustand meiner Schuhe berichtet, als sie dann merkte, daß Frau Persokeit von einer Beschaffenheit

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