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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Rummelplatz? Verwandlung von transportiertem Reservekönig in Karussellcenter? Oder vielleicht König Friedrichs Veränderung auf der Kirmesfahrt?
    Mit einiger Charaktergewalt unterdrückte ich das Verlangen, die Brigadetür ein weiteres Mal zu öffnen undüber die hohe Schwelle zu fragen, ob ein Dolmetsch zugegen sei für den Satz: Fritz wandelt sich auf dem Wege zum Rummel.
    Anstatt mich auf den wuchernden Unfug einzulassen, suchte ich Halt an dem, was mir per Profession vertrauter war. Ich blätterte weiter in den alten Papieren, fraß mich zurück bis in Abzeichen-Herrmanns Nähe, denn was einmal umgewandelt worden war, mußte irgendwo beim Inventar oder als Neubuchung zu finden sein.
    Reservekönig spürte ich keinen auf, aber mehrmals kam ich an die Silbe Rex. An einer Stelle hieß es: »Um wandlung Rexverwahrung in Rexreserve (Bronze, 18 t)« und an einer anderen: »Abgabe Schrottschein, 18 t, gegen Rex gl. Menge«.
    Für den Abend, der diesem Arbeitstage folgen würde, brauchte ich, so viel war klar, kein Kreuzworträtsel und schon gar nicht die bläßlichen Fragen vom Fernsehfunk. Ich hatte eine beträchtlichere Nuß zu knacken, eine aus Bronze, die achtzehn Tonnen wog. Einen Bronzerex galt es zu finden, der beim VEB Ordunez in unterschiedlichen Rollen aufgetreten war. Als ein Verwahrter stand er verbucht, als Reserve hatte er gegolten, und zuletzt war er im Rekreationsbereich gesichtet worden.
    Ich schrieb mir aus den Büchern, was ich brauchte, stellte die alte Ordnung in den Regalen wieder her, stieß die Tür zum Nebenzimmer auf und bat die buchhaltenden Damen, mein Telefon mitzuversehen. Sollte man nach mir fragen, ich sei zur Kaderabteilung.
    Jetzt will er sich auf Dauer bewerben, sagte Fräulein Weigel, und ich erwog, den häßlichen Verdacht mit der Andeutung zu zerstreuen, es könne sich etwas für unseren Forschungsauftrag gefunden haben, aber dann tatich, als habe ich nicht gehört. Ich war, schien es, auf dem Wege, ein Leiter zu werden.
    In der Kaderabteilung sah man mich ähnlich, denn ohne viel Gefrage gaben sie mir die Adresse meines, sozusagen, ehemaligen Kollegen und Amtsvorgängers, des einstigen Hauptbuchhalters vom VEB Orden und Ehrenzeichen. Er war vor langem in Rente gegangen und mußte noch leben. Die Abteilung behielt auch abgetretene Kader im Auge, schon wegen der Kranzspenden mußte das sein. Für Josef Klagg war keine Kranzspende verzeichnet.
    Josef Klagg wohnte Gabriel-Max-Straße, rechts der Frankfurter Allee, und seiner Sprechweise nach konnte er auch dort geboren sein. Des Namens wegen war ich auf einen Tonfall von der böhmischen Elbe eingerichtet, aber schon aus seinem Gruß klangen hundert Jahre Friedrichshain.
    Als ich die Namen von Person und Betrieb genannt und meine derzeitige Tätigkeit etwas umständlich beschrieben hatte, behauptete Josef Klagg, er habe mich seit einiger Zeit erwartet. Nicht mich direkt, sagte er, aber mich gewissermaßen als solchen. Er machte mir Platz in der Tür und sagte: Hier ist Raucher. – Als ich abwehrte, ließ er das meine Sache sein, zündete einen halben Stumpen wieder an, verkroch sich in Qualm und Sessel und erteilte mir mit einer Handbewegung das Wort.
    Ich trug mich ohne Umschweife vor. Ich sei bei Durchsicht älterer Papiere auf unerklärliche Einträge gestoßen und wegen seiner Unterschrift nun bei ihm.
    Klar, sagte er und ließ sich den Stumpen schmecken.
    So berichtete ich vom bronzenen Rätsel, und weil der Rentner Josef Klagg auf präzise Fragen zu warten schien,stellte ich sie ihm: Wer oder was ist Rex? Wieso zuerst seine Verwahrung und gleich darauf seine Umwandlung, und warum wird er auch Transrex genannt? Was wolltet ihr mit einer Reserve von achtzehn Tonnen Bronze, und was ist aus der geworden?
    Der ehemalige Mitarbeiter von Ordunez und vielleicht auch schon von Abzeichen-Herrmann legte sein Räucherzeug fort und sprach mit jener berlinischen Freundlichkeit, die auswärts so oft als Arroganz mißdeutet wird: Gleich vorneweg, Kriminalfall ist es keiner. Man wird es, denke ich, demnächst als patriotisch werten. Deshalb die Bemerkung, daß ich dich als solchen erwartet habe.
    Er griff nach seinen Zigarillos und ließ sie nach einem Blick auf die Standuhr wieder fallen. Dann schien ihm nur mühevoll erinnerlich, wovon eben die Rede gewesen war, und ich fragte mich, ob er Worte und Gesten seit den Tagen des Bronzerex oder doch wenigstens seit seinem Abschied von Betrieb und Hauptbuchhalterzimmer geübt haben könne. Ich

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