Lebenslauf zweiter Absatz
Josef Klagg erwiderte, nicht Vergessen, sondern Gedächtnis gelte heutigentags, und der Berittene müsse wieder auf seinen Sockel. Wir hätten inzwischen, sagte er, eine neue Unbefangenheit, und man sei auch auf positive Züge gestoßen. Meinst du, fragte er und teilte mir kräftig vom Rauch eines neuen Zigarillos zu, er darf auf Dauer an Zierfisch und Pausensport vergeudet werden?
Das steht bei dir, sagte ich, du hast ihn abgesenkt, nun ziehe ihn wieder ans Licht. – Aber denken hörte ich mich, es könnte mich das Zwischenspiel als Hauptbuchhalterdiensttuer in die Lage setzen, Autor eines bedeutenden Eintrags im Hauptbuch des VEB Ordunez zu werden: Rückwandlung Rekreationsbereich in Standbild Rex. Als ich Abschied nahm vom Rentner Klagg in der Gabriel-Max-Straße, Friedrichshain, schien noch nichts entschieden, doch wird der Bronzevergräber nicht einmal das Verhallen meiner Schritte abgewartet haben, ehe er sich ans Briefschreiben machte. Zwei Tage nach unserem Gespräch traf das Schriftstück ein. Es war mit einem fingierten Absender versehen, aber, Kunststück, die Adresse vom VEB Ordunez stimmte, mein Name und jene Dienstbezeichnung, die mir auf Zeit verliehen war, stimmten auch. Wäre nicht der Eingangsvermerk unserer Poststellegewesen, hätte ich Konfetti aus dem Papier gemacht, denn dort, wo sich eine Unterschrift gehört, stand in grenadiergeraden Druckbuchstaben lediglich: Ein Patriot.
Der Patriot stellte zwei Fragen: Erstens, ob mir bekannt sei, daß sich der seit Jahrzehnten vermißte und in den Katalogen als wahrscheinlich zerstört geführte Große Reiter auf dem Freizeitgelände des volkseigenen Betriebes Ordunez befinde und dort zweckentfremdet als Sportgerät respektive Zierfischanlage diene, und zweitens, wie lange ich als Bürger den Anblick des entmannten Sockels auf dem Platz der Guten Taten, Ecke Fortschrittsallee, noch ertragen wolle.
Entmannter Sockel! sagte ich laut und war der Abgeschiedenheit meines Zimmers einmal froh und nutzte sie, auch noch den Kopf zu schütteln über Josef Klagg, der einstens Inspirator und Organisator kühnster Operationen gewesen war und nun in der Deckung seiner Zigarillowolke verbleiben wollte. Er suchte seine Ruhe und nahm mir meine.
Den Anblick des entmannten und auch entroßten Sockels würde ich aushalten, zumal ich nicht so oft über den Platz der Guten Taten kam, aber wie lange ich unverstört neben dem zersägten Bronzerex leben könnte, wußte ich nicht. Wie ich mich kannte, würde mir bald von tonnenschweren Goldfischen träumen und von Pingpongkugeln aus Kupfer und Zinn und von der Verlegung meines Arbeitsplatzes, per königlicher Ordre, versteht sich, hinauf in die einsame Höhe eines granitenen Denkmalsstumpfes.
Ich gab mir noch eine Nacht Bedenkzeit, aber den Abend nutzte ich schon, aus Lexikon und Reiseführer allen Bescheid herauszuschreiben, der den Großen Reiterbetraf. Und weil mich kein Traumgesicht zu anderem bestimmte, meldete ich mich werktagsfrüh beim Direktor Scharrbowski, sagte, es sei der Chronik wegen, und legte ihm das patriotische Schreiben wie auch die Wissensauszüge vor.
Weil ich nicht als Hauptbuchhalter und also ihm siamesisch verbundener Leiter erschien, versuchte er sich in Jovialität. Er drückte mich auf einen Stuhl in der Besucherecke und nahm zuerst die Beschreibung des Denkmals vor die Augen. Sie sagte ihm nichts, aber weil er der Direktor Scharrbowski war, mußte er Stellung zu ihr nehmen. Das kommt dabei raus, sagte er, Monarchie und Kunstgewerbe.
Vom Brief des Patrioten Klagg wollte er nicht Kenntnis nehmen, denn Anonymes fasse er nicht an. Aber während er so sprach, sprangen seine Augen zwischen dem verwerflichen Schreiben und den Artikeln über das Denkmal hin und her, und es war beinahe zu hören, wie aus dem Großen Reiter auf dem einen Papier und dem Großen Reiter auf dem anderen Papier einmal ein einziger Großer Reiter wurde, und zwar einer, der sich auf dem Territorium vom VEB Ordunez befinden sollte.
Das wäre ein Ding, sagte Scharrbowski, habt ihr es geprüft?
Weitgehend, antwortete ich, es scheint zu stimmen.
Da wurde ich Zeuge des Umstands, daß auch der Leiter meines Betriebes träumerisch aussehen und träumerisch flüstern kann. Er flüsterte: Achtzehn Tonnen Bronze!
Ja, sagte ich, den Transport werden die Denkmalspfleger selber besorgen müssen, und unsere Anlage, meine ich, sollten sie uns ersetzen.
Aber Scharrbowski war immer noch beim Gewicht desMetalls, und er hörte nur halb auf
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