Lebenslauf zweiter Absatz

Binnenbindung zu brechen und zur Außenveräußerung überzugehen, gehöre in unsere Chronik eingetragen.
    Das fand Scharrbowski auch, und kaum war das Telefonat zwischen ihm und der Kurvertretung des Hauptbuchhalters beendet, eilte ich zu meiner Brigade. Diesmal schlich ich nicht über den Korridor, sondern stieß die Schiebetür mit Schwung zur Seite, setzte mich in meinen angestammten Stuhl und erzählte.
    Den Damen gefiel ich, wie ich den Großen Reiter aus der Rexverwahrung holte und den exportfixierten Direktor in die Schranken wies. Einer der Ihren war ich nun. Zwar zur Zeit auf höherem Posten, aber eben als einer von ihnen dort aufgestellt. Einig waren wir, daß Hauptbuchhalter, wenn es sie denn geben müsse, besser aus unserem als anderem Holz zu fertigen seien, und uneins waren wir nur in der Frage, wie wohl im höchsten Bereich über den hohen Reiter entschieden werde.
    Nach Meinung von Weigel und Jäger waren die achtzehn Tonnen Bronze bereits auf dem Marsch zu sechshunderttausend Paraderöcken in mindestens achtzehn fernen Ländern, doch Woltermann und Farßmann hieltendagegen, Rückwandlung Rex wie auch Rückkehr desselben auf Sockel seien nicht gänzlich ausgeschlossen. Es gebe, sagte der Kollege Farßmann, Zeichen einer neuen Unbefangenheit.
    Ich sagte es seither wahrscheinlich einige Male zu oft. Ich sagte es nicht nur in unserem Zirkel der Chronikforscher, sondern auch in der Zentralen Zirkelleiterkonferenz aller Chronikforscher. Ich weiß nicht, ob es einen Zusammenhang gegeben hat zwischen meiner Berufung dorthin und dem Höchstbereichsbeschluß, der zur Wiederbemannung des Sockels am Platz der Guten Taten führte. Aber zu der einen Tagung wurde ich eingeladen und in ihr Präsidium gewählt, und zu anderen Tagungen wurde ich ebenfalls eingeladen, und in deren Präsidien wurde ich ebenfalls gewählt.
    Bei einer Wochenendkonsultation sämtlicher Hauptbuchhalter sprach ich von der Neuen Unbefangenheit, und auch die Feier der Volkseigenen Vereinigungen kam weder ohne dieses Thema noch ohne mich als Redner aus. Vor Jungen wie Alten berichtete ich über Konflikt und Lösung des Konflikts zwischen Binnenbindung und Außenveräußerung, und ich pries die Entscheidung des höchsten Bereichs, von der ich betonte, man habe sie als Abdruck einer Neuen Unbefangenheit zu begreifen.
    Wohin das mit mir gehen würde, schien absehbar. Schon hieß es, der offizielle Hauptbuchhalter vom VEB Ordunez sei etwas häufig zur Kur, und es müsse doch nachdenklich stimmen, daß erst bei seiner Abwesenheit der bronzene Rex aus der Zweckfremde habe heimkehren können.
    Gerede dieser Art und andere verdächtige Zeichen kamen zunehmend auf. Scharrbowski verkehrte mit mir imHerzenston, der zwischen Leiter und Leiter gilt, aber meine Brigade klopfte neuerdings bei mir an. Statt Kindermund nun Zeitungsschau, so ungefähr verfärbten sich unsere Gespräche.
    Auch im Erholungspark vom VEB Ordunez wehten die Winde kalt, wie sie nur Einsamen wehen. Einmal, als ich dort wieder allein zwischen den noch unverwachsenen Löchern stand, starrte ich über S-Bahn-Einschnitt und Gasgemäuer hinweg und wußte plötzlich von mir: Auf St. Helena war ich schon, und Napoleon sollte ich noch werden.
    Ich wollte aber von beidem nichts und sann, man kann sagen, verzweifelt, nach Mitteln gegen drohende Erhöhung.
    Dann kam der Tag, an dem sie den rückverwandelten Großen Reiter auf seinem Sockel am Platz der Guten Taten neu befestigten, und der Protokollbescheid ereilte mich, ich hätte auf dem Weihepodest neben dem Höchsten aus dem Höchsten Bereich meine Aufstellung zu nehmen. Natürlich konnte ich mich dem nicht verweigern, und als ich mich über den Köpfen der Meinen wiederfand, schien unabänderlich, daß ich auf diesem Niveau mein künftiges Leben fristen müsse.
    Helga Woltermann erkannte ich, die fremd und doch mit einigem Stolz zu mir aufsah. Lia Weigel war da und brachte es gerade noch zu einem kleinen Winken. Ellen Jäger staunte empor zu mir und schien sich zu fragen, wie sie den Kindern von jenem Manne sprechen sollte, mit dem sie einst Löschpapier und Locher geteilt und der nun aufgereiht stand zwischen Großem Reiter und Großem Leiter dazu.
    Scharrbowski sah ich auch, und sein fliegender Blickbesagte, daß er die erhabene Bronze wieder und wieder zu weltmarktfähigen Medaillen vermaß. Ersichtlich ebenso machte ihm immer noch die Frage zu schaffen, wieso ausgerechnet dieses Mal das verantwortliche Sein nicht übers Bewußtsein die