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Lebenslauf zweiter Absatz

Lebenslauf zweiter Absatz

Titel: Lebenslauf zweiter Absatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Kant
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Oberhand behalten hatte.
    Unübersehbar für mich in meiner Höhe stand in einer Wolke aus Stumpenqualm der Patriot Josef Klagg, und zufriedener als er konnte keiner rauchen.
    Alle zeigten sich ein wenig verändert und waren doch die alten. Einzig ich, so schien es mir, stand im Begriff, ganz aus aller Gewohnheit zu geraten. Aber ich wollte das nicht. Ich wollte nicht Schwelle noch Schiebetür zwischen mir und den anderen, und den Sockel wollte ich nicht und auch nicht sonstige Erhöhung. Farßmann wollte Farßmann bleiben, und wie noch die Reden dröhnten und dann die beschließende Musik erscholl, wußte Farßmann einmal auch, wie er das erreichen konnte.
    Zwar gehörte einiger Mut dazu, um nicht von Unbefangenheit zu reden, und die Überzeugung war nötig, daß nichts unmöglich sei, aber den Mut fertigte ich mir aus meiner Verzweiflung an, und wenn ich wissen wollte, was diese Welt an Möglichkeiten barg, brauchte ich die Hand nur auf den bronzenen Pferdeleib an meiner Seite zu legen.
    Eine strichfeine Narbe lediglich ließ sich fühlen, wo kürzlich noch die Grenze zwischen lautem Ping und Pong und lautlosem Kiemenschlag verlaufen war, und ich, der ich diese Verbindung gestiftet hatte, sollte Farßmann nicht bleiben können?
    Das wollte ich sehen, und als es unter dem Großen Reiter zum Abschied von den Führenden kam, konnte jeder sehen, was ich wollte.
    Ich gab dem Höchsten Vertreter des Höchsten Bereiches die Hand, wie es vom Protokoll auch vorgesehen war, und dann gab ich ihm ganz außerhalb des Protokolls drei herzliche Küsse. Einen auf die rechte Wange, einen auf die linke Wange und einen auf den Mund.
    Die Begleitung schien dazwischengreifen zu wollen, aber wir standen erhöht, und für die Kameras wären solche Bilder nichts gewesen. Was meinen Partner betrifft, so hielt er sich brav. Zwar suchte er sich mir zu entwinden, aber weil ich ihn mit Buchhalterfäusten und nicht mit Hauptbuchhalterhändchen bei den Schultern hatte, schickte er sich ins Unvermeidliche und ließ sich von mir kosen. Aber es sagte ihm nicht zu, soviel ließ er mich spüren, und als ich von ihm abließ, wußte ich, ich hatte mich aus der Gefahr, ein Prinz zu werden, zurück auf meinen Platz als Frosch geküßt.
    Was eine angenehme Stellung ist. Man hat die Wochenenden wieder frei und muß nicht immerfort von alten Reitern und neuer Unbefangenheit erzählen.
    Meine Brigade hat die Chronik abgegeben und dafür die Pflege des jungen Rasens im Garten vom VEB Ordunez übernommen. Wir sprengen ihn in jeder Mittagspause, und er wächst recht gut.
    Sonnabends manchmal gehe ich für mich allein die Fortschrittsallee hinunter zum Platz der Guten Taten und lehne mich, wo es niemand sieht, an den wiederbemannten Sockel. Wenn wir das Wetter danach haben, steht der Große Reiter in ruhiger Wärme da, und es ist, als atme die Bronze.
    Und ich atme auch.

DER MANN VON FRAU LOT
    Mit dem Rücken zur Wand, das schien spannend genug, aber mit dem Rücken zum Fußballfeld war auch nicht ohne. Jan G. stand wörtlich mit dem Rücken zum Feld, weil er bildlich mit dem Rücken zur Wand stand. Bildlich und sehr wirklich.
    Zu seiner Verwunderung hatte er kein Papier beibringen müssen, seinen Leumund betreffend oder Soll und Haben. Es ging nach Augenschein und eigenen Angaben. Auch sah man wohl, dass mit ihm nur zu spaßen war, wenn er Lust dazu hatte.
    Ob er Fußballfan sei, wurde er gefragt, doch auf Fußballnarren waren sie nicht aus. Sie suchten keine verhinderten Stars, sondern Ordner und nahmen ihn, weil er geeignet schien. Wie weit er wirklich taugte, musste sich erweisen; dass er kein Ordner seines Lebens war, hatte sich in einschlägigem Zusammenhang gezeigt. An der Seite einer schönen Person war er an einem verhungerten Rasenstück vorbeigekommen, auf dem Halbwüchsige verbissen bolzten. Ihren verirrten Ball nahm er betulich an, schob ihn betulich zurück und versuchte gar nicht erst, ihn direkt und elegant ins lange Eck zu schlenzen. Die Dame, von der er längst wusste, die hätte es sein können, schien nichts bemerkt zu haben; für Jan G. aber stand seither ein lachhaftes Versäumnis fest.
    Gegen den Irrtum, er sei ein tragischer Pechvogel, ließe sich auf seine Alltäglichkeit verweisen. In Abwandlung des altbekannten Wortes eines allbekannten Meisterswar er nicht aus dem Volk gestürzt, sondern mit ihm abgestiegen. Vor der Vereinigung, die er Vereinnahmung nannte, galt er als gesuchter Facharbeiter, nach ihr suchte er nicht nur in seinem

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