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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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sagte man in Fernsehkrimis. Sie meinte den toten Hund, aber Dr. Hunter glaubte, dass sie ihren Vater meinte. »Dazu besteht kein Grund«, sagte sie. »Er hat sich vor langer Zeit selbst überlebt. Sag Jo zu mir.« Dr. Hunter mochte Hunde. »Laika«, sagte sie. »Der erste Hund im Weltraum. Sie ist nach ein paar Stunden an Hitze und Stress gestorben. Sie wurde aus einem Tierheim geholt und muss geglaubt haben, dass sie in ein neues Zuhause gebracht würde, zu einer Familie, aber stattdessen haben sie sie in den einsamsten Tod auf der Welt geschickt. Wie traurig.«
    Dr. Hunters Vater lebte halbwegs in seinen Büchern fort – er war Schriftsteller gewesen –, und Dr. Hunter sagte, dass er früher sehr in Mode gewesen war (»Berühmt zu seiner Zeit«, sagte sie und lachte), aber seine Bücher »hatten die Zeit nicht überdauert«. »Mehr ist nicht mehr von ihm übrig«, sagte sie und blätterte in einem muffigen Buch mit dem Titel Der Ladenbesitzer. »Von meiner Mutter ist überhaupt nichts übrig«, sagte Dr. Hunter. »Manchmal denke ich, dass es nett wäre, eine Bürste oder einen Kamm zu haben, einen Gegenstand, den sie jeden Tag berührt hat, der Teil ihres Lebens war. Aber alles ist weg. Halte nichts für selbstverständlich, Reggie.«
    »Keine Angst, Dr. H.«
    »Man schaut einen Augenblick lang nicht hin, und es ist weg.«
    »Ich weiß, glauben Sie mir.«
    Dr. Hunter hatte die Bücher ihres Vaters in einem wackligen Stapel in eine Ecke des kleinen fensterlosen Abstellraums im oberen Stock verbannt. Eigentlich war es ein großer Schrank und »überhaupt kein Zimmer«, sagte Dr. Hunter, obwohl es größer war als Reggies Zimmer in Gorgie. Dr. Hunter nannte es »Rumpelkammer«, und es war voller Dinge, mit denen niemand etwas anfangen konnte – ein einzelner Ski, ein Hockeyschläger, ein altes Federbett, ein kaputter Drucker, ein tragbarer Fernseher, der nicht mehr funktionierte (Reggie hatte es ausprobiert) und eine Menge Nippes, die entweder Weihnachts- oder Hochzeitsgeschenke waren. »Quelle horreur!«, sagte Dr. Hunter, wenn sie gelegentlich den Kopf in die Kammer steckte. »Manches von dem Zeug ist wirklich schauderhaft«, sagte sie zu Reggie. Schauderhaft oder nicht, sie konnte es nicht wegwerfen, weil es Geschenke waren, und »Geschenke müssen in Ehren gehalten werden«.
    »Außer trojanischen Pferden«, sagte Reggie.
    »Andererseits schaut man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul«, sagte Dr. Hunter.
    »Vielleicht sollte man das manchmal«, sagte Reggie.
    »Timeo Danaos et dona ferentes«, sagte Dr. Hunter.
    »Total.«
    Sie wurden nicht auf ewig in Ehren gehalten, wie Reggie bemerkte, weil Dr. Hunter jedes Mal, wenn die Plastiktüte einer Wohlfahrtsorganisation durch den Briefschlitz fiel, sie mit Dingen aus der Rumpelkammer füllte und – mit schlechtem Gewissen – vor die Tür stellte. »Gleichgültig, wie viel ich weggebe, es wird nicht weniger«, sagte sie und seufzte.
    »Ein Naturgesetz«, sagte Reggie.
    Der Rest des Hauses war sehr ordentlich und mit geschmackvollen Dingen eingerichtet – Teppiche und Lampen und Ziergegenstände. Eine andere Art Ziergegenstände als Mums Sammlung von Fingerhüten und Miniaturteekännchen, die trotz ihrer Größe wertvollen Raum in der Wohnung in Gorgie einnahmen.
    Das Haus der Hunters war viktorianisch, und es war zwar mit allem modernen Komfort ausgestattet, doch alle originalen Kamine und Türen und Stuckleisten waren noch vorhanden, was laut Dr. Hunter ein Wunder war. In der Haustür befanden sich farbige Glaspaneele, rote Sternenexplosionen, blaue Schneeflocken und gelbe Rosetten, die Prismen aus Farbe warfen, wenn die Sonne durchschien. Es gab sogar einen vollständigen Satz Glocken, um Dienstboten zu rufen, und eine Hintertreppe, damit die Dienstboten ungesehen herumwuseln konnten. »Das waren Zeiten«, sagte Mr. Hunter und lachte, als er erklärte, dass er, hätte er gelebt, als das Haus gebaut wurde, Feuer gemacht und Stiefel geputzt hätte. »Und du wahrscheinlich auch, Reggie«, während »Joanna oben majestätisch herumschweben würde wie was Besseres«, weil ihre Familie Geld hatte.
    »Alles weg«, sagte Dr. Hunter, als Reggie sie fragend ansah.
    »Leider«, sagte Mr. Hunter.
    »Schlechte Investitionen, Rechnungen vom Pflegeheim, verschwendet für Nichtigkeiten«, sagte Dr. Hunter, als wären der Erwerb und das Ausgeben von Geld bedeutungslos. »Mein Großvater war reich, aber verschwenderisch, allem Anschein nach«, sagte

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