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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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sie.
    »Und wir sind arm, aber ehrlich«, sagte Mr. Hunter.
    »Allem Anschein nach«, sagte Dr. Hunter.
    Doch eines Tages gab Dr. Hunter zu, dass etwas Geld übrig geblieben war und sie damit »dieses sehr, sehr teure Haus« gekauft hatte. »Eine Investition«, sagte Mr. Hunter. »Ein Zuhause«, sagte Dr. Hunter.
    Die Küche war Reggies Lieblingsraum. Reggies ganze Wohnung in Gorgie hätte hineingepasst, und es wäre noch immer Platz gewesen, um ein paar Elefanten zu schaukeln, wenn einem danach war. Überraschenderweise kochte Mr. Hunter gern und veranstaltete dabei immer ein Chaos in der Küche. »Meine kreative Seite«, sagte er. »Frauen kochen, weil die Menschen essen müssen«, sagte Dr. Hunter. »Männer kochen, um anzugeben.«
    Es gab sogar eine Speisekammer, ein kalter Raum mit Steinboden und Regalen aus Stein und einer Holztür aus Paneelen mit ausgesägten Herzen. Dr. Hunter bewahrte Käse, Eier und Schinken sowie Dosen und Vorräte darin auf. »Ich sollte Marmelade einkochen«, sagte sie schuldbewusst im Sommer. »Eine Speisekammer wie diese schreit nach hausgemachter Marmelade.«
    Jetzt, kurz vor Weihnachten, sagte sie: »Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich keine Plätzchen gebacken habe. Oder einen Weihnachtskuchen. Oder einen Plumpudding. Die Speisekammer schreit nach einem Plumpudding, eingewickelt in ein Tuch und voller silberner Sixpence und Amulette.« Reggie fragte, ob Dr. Hunter dabei die Weihnachten ihrer Kindheit im Sinn hatte, aber Dr. Hunter sagte: »Um Gottes willen, nein.«
    Reggie fand nicht, dass die Speisekammer nach irgendetwas schrie, außer vielleicht nach Aufräumen. Mr. Hunter wühlte dort immer herum, suchte nach Zutaten und brachte Dr. Hunters ordentliche Dosen- und Gläserreihen durcheinander.
    Dr. Hunter (»Sag Jo zu mir«), die nicht an Religion glaubte, die an »keine Art von Transzendenz außer der des menschlichen Geistes« glaubte, glaubte felsenfest an Ordnung und Geschmack. »Morris sagt, dass man nichts im Haus haben sollte, was man nicht für nützlich oder schön hält«, sagte sie zu Reggie, als sie eine hübsche kleine Vase (»Worcester«) mit Blumen aus dem Garten füllten. Reggie dachte, sie meinte jemanden namens »Maurice«, einen schwulen Freund vielleicht, bis sie eine Biographie von William Morris im Regal sah und dachte, »Pah, wie dumm«, weil sie natürlich wusste, wer er war.
    Zweimal in der Woche kam eine Putzfrau namens Liz und stöhnte über die viele Arbeit, aber Reggie fand, dass sie es ziemlich leicht hatte, weil die Hunters alles unter Kontrolle hatten und keine Putznazis oder so waren, sondern den Unterschied zwischen Komfort und Chaos kannten im Gegensatz zu Ms MacDonald, deren ganzes Haus eine »Rumpelkammer« war – überall altes Zeug, Quittungen und Stifte, Uhren ohne Zeiger, Schlüssel ohne Schlösser, Kleiderhaufen auf Truhen, Säulen alter Zeitungen, im Flur ein halbes Fahrrad, das eines Tages dort aufgetaucht war, ganz zu schweigen von dem Wald aus Büchern. Ms MacDonald führte die unmittelbar bevorstehende Entrückung und Wiederkunft Christi als Ausrede an (»Wozu noch aufräumen?«), aber in Wahrheit war sie einfach eine schlampige Person.
    Ms MacDonald war die Religion »zugefallen« (nur Gott wusste woher), kurz nachdem ihr Tumor diagnostiziert worden war. Die beiden Dinge standen miteinander in Beziehung. Reggie war der Ansicht, dass Ms MacDonald, da sie bei lebendigem Leib vom Krebs aufgefressen wurde, angefangen hatte, an Gott zu glauben, weil es ein angenehmer Gedanke war, dass irgendjemandem dort draußen etwas an ihr lag, obwohl ihrem Gott an nichts etwas zu liegen schien, ganz im Gegenteil, er war menschlichem Leiden gegenüber gleichgültig und versessen auf rücksichtslose Zerstörung.
    In Dr. Hunters Küche hing eine große Pinnwand voller Dinge, die einen Einblick in ihr Leben erlaubten, zum Beispiel eine Siegerurkunde, die belegte, dass sie einst eine Sprintmeisterin der Grafschaft gewesen war, einer anderen Urkunde war zu entnehmen, dass sie die Note gut in der Klavierprüfung erhalten hatte, auf einem Foto (»als Studentin«) hielt sie eine Trophäe hoch, umgeben von klatschenden Leuten. »Ich war Allrounderin.« Dr. Hunter lachte, und Reggie sagte: »Das sind Sie noch immer, Dr. H.«
    An der Pinnwand hingen Fotos, die Dr. Hunters Leben dokumentierten, ein paar von Sadie und jede Menge vom Baby natürlich und eins von Dr. und Mr. Hunter, wie sie in ausländischem Sonnenschein lachten. Der Rest

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