Lebensversicherung (German Edition)

Amerika eine neue Welt fanden und
nach unserem Gusto formen konnten. Sie wissen: Angelsächsisch, weiß,
protestantisch war und ist das Motto. Es ist das Lebenselixier unserer Ordnung,
unserer Lebensanschauung.
    Die sogenannte Aufklärung konnten wir lange Zeit
unterdrücken. Mit Hilfe der Kirchen rotteten sich die Völker im Namen der
Religion selbst aus. Die Pest tat ihr Übriges.
    Die Revolution in Frankreich nahm dann das Dogma von der
Kirche. Das war schlecht für uns, denn die Vernunft sollte regieren. Nicht
lange allerdings, denn sie ist nicht die Sache des Volkes. Sie wird es nie
sein.
    Wir zogen uns nach Amerika zurück. Wir waren unabhängig von
Europa und weit weg. Wir konnten tun, was wir wollten. Natürlich kostete die
Neuordnung unserer Organisation Zeit. Aber das Land war jungfräulich.
    Vigilantentum und Pioniergeist legten die Grundlage für unser
System, das auf Selbstgerechtigkeit und Gewaltbereitschaft nicht verzichten
kann. Nicht in der Politik, nicht im Recht.
    Amerika war immer gewaltbereit, es musste es sein, um zu
überleben. Deshalb ist der Hass seiner Menschen leicht zu manipulieren.
    Auch Brutalität kann man manipulieren. Denken Sie an `Brot
und Spiele´ im alten Rom. An die Scheiterhaufen!
    Unsere Form der Todesstrafe ist ein moderner Ableger. Sie
muss ein brutales Antlitz haben, um Gegner und Befürworter zu einigen. Zu
einigen um die Sache, nicht in der Sache. Gegensätze ergeben das manipulierbare
Ganze, das wir brauchen, um die Todeskandidaten und damit Ihre
Lebensversicherung, Herr Präsident, zu erhalten.
    Stellen Sie sich vor, es gäbe keine Gegner der Todesstrafe.
Dann gäbe es auch keine Befürworter. Schließlich keine Todesstrafe.
    Wir unterstützen sowohl Pro- als auch Con-Gruppen. Auch
schüren wir den Wunsch, konsequent schwere Strafen für schwere Verbrechen
verhängt zu sehen, und sorgen somit dafür, dass die Missachtung dieses
Wunsches, beispielsweise durch Gegner der Todesstrafe oder weichherzige
Politiker, zu hemmungsloser Empörung führt, die die Forderung nach
hemmungsloser Vergeltung umso lauter werden lässt.
    Selbstgerechtigkeit hilft, das Individuum in der Masse zu
manipulieren. `Jeder ist seines Glückes Schmied´! Jeder Amerikaner saugt diesen
Blödsinn bereits mit der Muttermilch ein. So - und mit der Religion - halten
wir die Pioniermentalität aufrecht und mit ihr das Wort des Alten Testaments.
Blut um Blut, Auge um Auge.
    Warum denken Sie, werden die Hinrichtungen vor allem im Bible
Belt unseres Landes befürwortet? Im Todesgürtel? Huntsville, Texas, ist das
beste Beispiel.
    Hier wie dort verehrt das Volk seine Geschichte. Die
Leistungen der Pioniere. Land und Natur waren feindlich. Man musste sich
durchsetzen, die Elemente besiegen oder sich arrangieren. Das Böse musste
eliminiert werden.
    Wir appellieren an den Pioniergeist! Wir geben den Leuten ein
Ventil. Brot und Spiele. Panem et circenses. Es hat sich nichts geändert. Je brutaler, desto
lieber.
    Ohne Leid kein Mitleid, ohne Rechts kein Links, ohne Dagegen
kein Dafür.
    Das ist der Kern der Manipulation, des Populismus. Als
Politiker müssen Sie das wissen, denn jeder Wahlkampf ist populistisch. Er muss
es sein, um erfolgreich zu sein.
    Dr. Roesen machte eine Pause und trat an das Fenster. Clayton
saß in seinem Bett, an das Kissen gelehnt, und betrachtete den Rücken des
Mannes, mit dem er immer offen geredet hatte. Roesen drehte sich um.
    - Heute proklamieren wir Bildung für alle, aber tatsächlich
schaffen wir uns mit den immer effektiver werdenden Medien eine Einflussnahme,
von der Männer wie Goebbels geträumt haben. Tatsächlich war er der erste, der
den Rundfunk gezielt für Propaganda einsetzte. Er und seinesgleichen hatten
sich von uns unabhängig gemacht. Deshalb mussten wir sie loswerden.
    Eigentlich widersprach das unserer Philosophie, aber wir
schafften uns ein neues Schlachtfeld, den Kalten Krieg.
    Das alte Spiel. Wir bauten Gegensätze auf.
    Reagan, dieser drittklassige Schauspieler, spielte einen
zweitklassigen Präsidenten erstklassig. Wie er Gorbatschow damals in Berlin
zurief:
    Mr. Gorbatschow, tear down this wall! Wir trauten unseren
Ohren nicht!
    Und wissen Sie was? Gorbatschow gab dann tatsächlich die
Macht seines Imperiums auf. Dummer Kerl, wir hätten ihn schon gehalten. Setzten
ihm das Messer damals auf der Krim auf die Brust. Aber er war zu
rechtschaffend.
    Dann nahmen wir Jelzin. Aber der dachte nur an sich, und so
sind wir heute die einzig verbliebene Weltmacht. Umso