Lebensversicherung (German Edition)
ihm einen Katheter
ins Herz, was auch 35 Minuten dauerte. Erst nach einer Stunde und 20 Minuten
war er tot. Er hatte alles bei Bewusstsein erlebt.
Jeff war auch dabei, wenn sie gewogen wurden, um die Männer
zu bestimmen, die sie auf ihrem letzten Gang begleiten sollten. Wie oft war es
vorgekommen, dass sie die Fassung verloren hatten, dass sie sich wehrten oder dass
ihnen einfach die Beine wegsackten. Dann mussten die Männer kräftig genug sein.
Für Jeff war es sehr wichtig, dass die letzten Stunden vor
der Hinrichtung glatt liefen. Das Duschen, das Umkleiden, die letzte Mahlzeit,
der letzte Stuhlgang.
Jeff war auch bei dem Gefangenen, wenn er seine letzten
Telefongespräche führte. Er reichte ihm dann den Hörer in die Zelle.
Auch der Pfarrer war da, dessen Aufgabe es war, den Mann
ruhig zu halten. Manchmal gelang das, manchmal nicht. Und bei den Frauen – ach!
Texas verbietet Beruhigungsmittel vor der Hinrichtung. Die
Delinquenten sollen bei vollem Bewusstsein in den Tod gehen.
Jeff wusste mittlerweile, warum.
Er hatte schon mit dem Gedanken gespielt, Gefängnisdirektor
zu sein. Es würde ihm nichts ausmachen, ihnen den Hinrichtungstermin zu
überbringen, die letzten Minuten mit dem Gefangenen zusammen zu sein, dabei zu
sein, wenn die Infusionsnadeln gesetzt werden.
Aber er mochte es nicht ausführen. Diesen Teil der Arbeit
würde er nie mögen.
Ahh, ich werde mich niemals für diesen Job bewerben, dachte
er. Und er wollte nicht verantwortlich sein für das, was danach geschah. Er
würde nie darüber sprechen, wie er es erfahren hatte.
Er hatte sich immer gefragt, warum die Gefangenen in den
Todeszellen so unmenschlich in Isolation gehalten wurden. Für die Verurteilten
zum Tod auf dem elektrischen Stuhl hatte das nicht gegolten. Erst seit man mit
der Spritze hinrichtete, war das so geworden.
Jeff war seit 1976 in Huntsville. Er hatte sie alle gekannt,
die über 200, die seit damals hier hingerichtet worden waren. Gekannt? Nein,
gekannt hatte er sie nicht.
Gesehen, ja. Allen Wärtern wurde als erstes beigebracht,
keine persönliche Beziehung zu den Gefangenen zu haben.
Begib dich nie auf eine persönliche Ebene zu ihnen, sagten
sie. Nur keine menschliche Regung!
Jetzt hatten sie Estelle drüben, dass modernste, was
es als Hochsicherheitsgefängnis gab. Nein, in dieser vollautomatischen Hölle
wollte Jeff nie arbeiten. Es gab da keine Nacht, keinen Tag. Nur künstliches
Licht. Überhaupt keine menschliche Berührung mehr, kein Gespräch mit dem
Zellennachbar. Keinen gemeinsamen Aufenthaltsraum. Keine Kapelle. Hier saßen
die Gefährlichsten - auch Irre - aus den Todestrakten.
Kein Fernsehen, kein Radio. Nur eine Stunde am Tag an die
frische Luft - bei guter Führung! Der einzige Ausblick auf die Welt draußen ist
der Schlitz, durch den das Essen kommt.
Computer bestimmen die Haltung.
Jeff wusste, dass Isolation Folter bedeutet.
Ein bisschen besser ist es im guten alten Ellis I schon,
dachte Jeff. Obwohl, seit hier die Spritze eingeführt worden war, gab es auch
kaum noch Kontakt für die Häftlinge. Alles, was von draußen kam, wurde hinter
Plexiglasgittern gehalten. Man wollte ja keine Krankheiten im Trakt.
Kontakt nach außen war einfach unerwünscht. Selbst Geld für
Briefmarken und Schreibpapier durften sie sich nicht verdienen.
Mehr als ein Besuch pro Monat wurde sowieso nicht erlaubt.
Manchmal auch keiner. Wenn, dann saßen sie sich im langen, schmalen
Besucherraum gegenüber, immer getrennt durch das Glasgitter. Und gefesselt. An
Händen und Füßen kurz geschnallt.
Viele Gefangene hatten ihre Kinder noch nie berührt, ihre
Frauen und Mütter nie wieder anfassen dürfen. Selbst in der letzten Stunde
durften sie sich nicht bei der Hand nehmen.
Jetzt, als Jeff sich das vorstellte, wurde ihm erst richtig
klar, was das bedeutete. Niemals einen anderen Menschen berühren zu dürfen,
jahrelang. Er dachte, eigentlich sind die doch schon längst tot.
Nur die Wärter kamen ihnen nahe, wenn sie die Fesseln
umlegten.
Überhaupt, die Wärter. Was hatte er da nicht schon alles
gesehen. Carl war ja hier ein gutes Beispiel. Gefühl hatte der nicht. Nur Fett.
Jeff hatte sich schon immer gewundert, warum die meisten seiner Kollegen so
übergewichtig waren. Und warum sie dabei noch so knapp sitzende Uniformen
trugen. Besonders die Frauen. Er fand es eklig, wenn sich Gesäß und Genitalien
so abzeichneten. Wenn sie mit ihrem Cameltoe durch die Gänge latschten.
Er war dabei
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