Lebensversicherung (German Edition)
die Lemminge. Sind
ihre Ressourcen erschöpft, dann machen sie sich auf zu Hunderten. Sie wandern
und sterben.
Wir hatten unsere Kriege. Je größer die Bevölkerung, desto
größer der Krieg. Und reicht das nicht aus, dann Holocaust, zum Beispiel. Bei
Hitler fiel uns das leicht. Das Volk war empfänglich. Stalin machte es ganz
allein. Er hatte Sibirien. Pol Pot in Kambodscha war auch nicht schwer.
Mindestens zehn Prozent seiner Bevölkerung rottete er in nur vier Jahren aus.
Eine Million pro Jahr.
Jetzt Jugoslawien. Es wäre alles gut gegangen, aber die
moralisierenden Europäer verdarben den Brei. Humane Katastrophe. Dummköpfe!
Eine Katastrophe ist nie human. Sie ist gewollt, bedarfsgerecht, wenn Sie so
wollen.
Zacharias machte eine Pause.
- Es gibt viele Mittel. Hunger zum Beispiel. Wie würden wir
sonst mit Afrika fertig? Wir genmanipulieren das Getreide und was passiert?
Humane Organisationen, ja ganze Länder spenden im Namen der Menschlichkeit.
Menschlichkeit!
Zacharias spie das Wort geradezu aus.
- Gott sei Dank können wir verhindern, dass das Zeug ankommt.
Wir müssen den Planeten bewohnbar halten, das ist human im Sinne der Menschlichkeit.
Bürgerkriege initiieren wir. China, Äthiopien, Indonesien, der Nahe Osten,
Tschetschenien. Es muss überall ein bisschen brennen. Wie leicht ging uns
Saddam Hussein auf den Leim. Khomeini war ein Unfall. Aber im Nachhinein hat er
ja doch unsere Arbeit gemacht.
Dr. Zacharias zündete sich seine Pfeife erneut an.
- Macht ist die Manipulation der Geschichte, Joseph. Kriege
manipulieren. Haben sie immer gemacht. Religion auch.
Warum erfand man wohl Religionen? Was denken Sie?
Joseph versuchte zu denken. Zynismus, blanker, brutaler
Zynismus war das Einzige, was er dachte. Er versuchte, einen fragenden Ausdruck
auf sein Gesicht zu bekommen.
- Die Religion, mein Lieber, ist das beste Mittel, um
Menschen gegeneinander zu hetzen. Funktioniert immer. Schon unsere Altvorderen
haben das erkannt. Bei Bedarf gründen wir Sekten, die sich überall einsetzen lassen
-
Joseph, ist Ihnen nicht gut?
Dr. Zacharias unterbrach seinen Redefluss und beugte sich
vor.
- Nein. Ist schon o.k. Ein bisschen viel nur. Mag sein, dass
Sie recht haben.
Er stöhnte innerlich. Joseph versuchte, ein wenig Zeit zu
finden. Er sah beide Herren an.
Dr. Zacharias hatte sich wieder seiner Pfeife gewidmet, die
ihm unterdessen ausgegangen war, und Teeman hörte zu.
- Aber das sind doch Millionen von Toten, Sir. Millionen, die
nicht wussten, warum sie starben. Millionen, die noch sterben werden .
Joseph hoffte, dass seine Frage irgendwie Einfluss nehmen könnte.
- Schön, dass Sie nicht sagten `wofür´.
Dr. Teemans Stimme wurde kalt und so scharf wie sein
Skalpell, das erbarmungslos die defekten Teile eines Organismus herausschneidet.
- Das ist der Preis der Macht, Dr. Banks. Jedes Reich war und
ist auf das Leben und das Leiden der Entbehrlichen aufgebaut. Die Meisten sind
entbehrlich, sie sind es. Wir brauchen sie, um den Organismus am Leben zu
erhalten. Sie arbeitet. Die Arbeiter sind die Zellen des Körpers. Sie sterben,
sie werden erneuert, bei Bedarf. Nur bei Bedarf.
Der Chef der Chirurgie betonte das Wort Bedarf.
- Das Faule, das Zuviel schneiden wir heraus. Wie beim Krebs.
Er kommt wieder. Wir schneiden erneut. Das geht so fort.
Manchmal stirbt auch der Kopf. Köpfe können auch krank
werden, Dr. Banks, aber sie wachsen nach. Sie wachsen, sie lernen und werden
erzogen. Wir beobachten unsere Köpfe, Joe, und wir entscheiden, ob sie alte Köpfe
ersetzen können.
Dr. Teeman sah Joseph jetzt das erste Mal direkt an. Er legte
die Unterarme auf den Tisch und verschränkte die Hände. Das sind keine
Chirurgenhände, dachte Joseph, das sind Hände, die die Zügel eines Gespanns
halten könnten.
Joseph wollte eigentlich etwas sagen.
Er wollte diesen offensichtlich Wahnsinnigen sagen, dass
Seuchen keine Skalpelle sind, dass Lebende nicht als Versicherung für andere Lebende
herhalten dürfen, dass ihre Argumente krank seien, so krank, dass man diesen Kopf abschlagen müsse, ohne ihn nachwachsen zu lassen.
Aber Teeman redete weiter.
- Sie beklagen die Zahl der Toten. Denken Sie an die Kosten
für Forschung. Auch wir brauchen Geld. Kein Geld, keine Forschung, keine
Forschung, kein Geld. Ohne eine dramatische Zahl von Toten würden wir darben.
Wir brauchen öffentliche Zuwendungen. Tote argumentieren für uns.
Keine Krankheiten, keine Ärzte. Was sollte ein Arzt tun, wenn
es keine
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