Lebensversicherung (German Edition)

Befürchtungen zum Ausdruck gebracht, dass die
Rangfolge in der Organvergabe nicht nach medizinischen Kriterien erfolgt.
Vielmehr soll die politische Position oder das Vermögen, hohe Summen zu
bezahlen, den Ausschlag geben. Es ist vorstellbar, dass Hinrichtungen dem
Bedarf entsprechend zeitlich angesetzt werden. Living organs for living patients.
    Schmid malte ein imaginäres Plakat an den Himmel.
    - Aber das ist China. Weit weg. 1986 las ich Wagners
Geschichte. Ich hielt das alles für wahrscheinlich und war fasziniert. Und
jetzt hat euer Joseph es herausgefunden und ist tot .
    Pause.
    - Ich will nicht tot sein. Ich halte das Maul, obwohl ich mir
schon einen Reim machen kann.
    Schmid nahm die Arme hoch und ballte die Fäuste. Mit
aufgepusteten Backen presste er seinen Atem heraus.
    - Okay. Ich hab´s euch versprochen. David Rothman machte sich
in seinem Artikel keine Illusionen über die utilitaristische Einstellung in
Amerika und sagt, dass die Mehrheit sicherlich nichts gegen die Verwendung von
Organen Hingerichteter habe. Warum verrotten lassen, was in Ordnung ist? Und
außerdem, damit können die Verbrecher etwas gut machen, nicht wahr?
    Auge um Auge, Blut um Blut,
Herz um Herz, Niere um Niere – ha, das gibt dem einen neuen Sinn, was? Wartet.
    Schmid holte seine Bibel herbei
und las vor, wo er ein Lesezeichen gemacht hatte.
     
    - `Entsteht ein dauernder Schaden, so sollst du geben Leben
um Leben.
    Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß.
    Brandmal um Brandmal, Beule um Beule, Wunde um Wunde´
     
    Gut was? Hm? Exodus, Verse 22 bis 25. Da steht´s. Die
Rechtfertigung für das Verwenden von Teilen dessen, der den Schaden angerichtet
hat.
     
    Schmid zeigte mit seinem Finger in das Buch.
     
    - `Und er soll´s geben durch die Hand der Richter.´ Exodus,
Vers 21.
     
    Er klappte die Bibel zu und legte sie mit einem schiefen
Blick zur Seite.
    - Wenn es nur nicht die Charta der Vereinten Nationen gäbe
mit den Menschenrechten und so Dinge wie den Kodex der Internationalen
Transplantationsgesellschaft und Ethik und Moral und Grauen und – ja, das
Grauen darüber, dass dort Dinge passieren könnten wie in China. Vielmehr, das
Grauen, dass man uns nichts davon sagt. Dass das Wissen in einem kleinen Kreis
gehalten wird. Dass man –
    Schmid verkrampfte seine Hände auf seinen Knien.
    - Ich weiß nicht, wenn man davon spricht, die bringen einen
doch um. Geh´ mal hin und klage sie an! Die bringen dich um. Oder stecken dich
weg. In die Klapsmühle. In Amerika, God´s own Country.
    Blasphemie würden sie schreien und dich als Ketzer steinigen.
    Nee, deshalb sag ich nichts. Obwohl, wisst ihr, die Indizien
sind schon recht eindringlich!
    Schmid sah uns an. Er war jetzt sehr ernst.
     
    - Ihr wollt es hören?
    Wir nickten beide.
    - Es sind keine Beweise, aber wenn´s nicht so ist, dann ist
es wenigstens gut erfunden .
    Er lachte.
    - Nein, es ist nicht erfunden. Joseph hat es gewusst und ist
tot. Beweis genug, Euer Ehren.
    Sie wollen und müssen das geheim halten.
    Und sie haben es leicht. Die
Mehrheit der Amerikaner will die Todesstrafe, mehr als zwei Drittel befürworten
die Hinrichtung von Schwerverbrechern. Besonders dort, wo sie am meisten
vollstreckt wird, im Süden, dem Bible Belt. Dort haben die Baptisten das Sagen.
    Heißt auch Todesgürtel der USA. Eben deshalb. Da gibt es
Huntsville, die Welthauptstadt der Exekution. Sie sind stolz darauf.
    Neulich habe ich einen Film gesehen: Welcome to Huntsville.
Der erste Satz im Film war: `Ich bin für die Todesstrafe. Deshalb liebe ich dieses
Land´.
    Texas. Wild West und Vigilantentum. Man kümmert sich nicht um
den Rest der Welt, aber um die Meinung zu Hause.
    Es gibt öffentliche Befürworter für die Todesstrafe in den
Medien, zum Beispiel George Will. Er ist politischer Kommentator bei der ABC
und sagte einmal, dass die Bevölkerung fühlt, dass Mord nur durch den Tod
gesühnt werden kann. Stand in Dead Man Walking. Kennt ihr das Buch?
    Ich hatte es gelesen, und Charlie natürlich auch. Seit Karla
Faye Tuckers Hinrichtung hatte sie sich ja mehr mit der Todesstrafe
beschäftigt, als einem Teenager gut tun kann.
    - Schwester Prejean kommt im Buch über einen Satz nicht
hinweg. Will hatte gesagt, dass Rache etwas sehr Edles sein kann. Muss ja, denn
sogar der Herr spricht: `Die Rache sei mein´.
    Schmid schielte nach seiner Bibel.
    - Texas gibt geschätzte 2,3 Millionen Dollar für das
Verfahren eines Todeskandidaten aus. Andere Stellen sprechen von 3,2