Lee, Sharon & Miller, Steve - Liaden 2 - Der Agent und die Söldnerin
er ein, zwei oder auch drei Minuten lang still stehen – und auf einmal merkte sie, dass er während dieser Zeit eine halbe Drehung vollführt hatte. Seine Bewegungen waren präzise und geschmeidig, wie bei einem Tanz, aber unglaublich bedächtig. Es war beinahe so, als ob Edger das Wachsen einer Blume imitieren würde.
Doch jählings fing er an zu rennen, zu springen, dann setzte er sich wieder hin, um sich zu entspannen oder zu konzentrieren. Danach wiederholte er dieselben trägen Gesten – vielleicht in ein wenig abgewandelter Form.
Sie war sich sicher, dass hinter diesen Übungen eine Methode steckte. Aber sie weigerte sich anzunehmen, es könnte vielleicht der Ausdruck einer psychischen Störung sein.
Um sich die Zeit zu vertreiben, trieb sie selbst ein wenig Sport, aber von der herkömmlichen Sorte. Es war wichtig, dass sie sich körperlich in Form hielt, denn wenn diese märchenhaft ruhige Zeit aufhörte, musste sie für alle Eventualitäten gewappnet sein, auch für einen Kampf.
Und dann die Bücher! Sie arbeitete sich durch die Grammatik des Hochliaden, verschlang in rascher Folge einen schmalen Gedichtband von einer gewissen Joanna Wilcheket, ein wesentlich umfangreicheres Buch über ein kompliziertes Mannschaftsspiel, das Bokdingle hieß, und lernte aus einem Ratgeber, wie man Schnitzereien aus dem Holz des Qontikwianbaums zeitlich richtig einordnete. Zum Schluss bildete sie sich in Geschichte weiter und las etwas über den Aufstieg und Niedergang eines Ortes namens Truanna, der sich im Standardjahr 250 selbst zerstört hatte.
Danach schmökerte sie in einem Terranisch-Wörterbuch und staunte, wie viele Vokabeln sie nicht kannte – obwohl es ihre Muttersprache war. Eine Stunde lang vertiefte sie sich in einen Abenteuerroman, der von einem alten terranischen Schriftsteller verfasst worden war. Hinterher taten ihr die Rippen vom Lachen weh, trotzdem stöberte sie in den Regalen nach weiterer Literatur dieses Genres.
Als sie durch das Schiff spazierte, bemerkte sie, dass die unheimlichen Effekte des Antriebs im Heck, wo sich die Frachträume befanden, weniger ausgeprägt waren als an anderen Stellen. In der Bibliothek ließ es sich einigermaßen aushalten, nachdem sie sich an die dort herrschenden Lichtphänomene gewöhnt hatte. Am schlimmsten war es im Kontrollraum.
Sie nahm sich vor, Val Con darüber aufzuklären.
Der Antrieb schaltete sich ab, es folgte eine Ruhepause, und dann nahm das Schiff wieder Fahrt auf. Nach drei Tagen wurde Miri beim Lesen von Visionen heimgesucht, ihr Partner läge vielleicht abermals in einem Starrkrampf am Boden – doch als sie ging, um nachzuschauen, sah sie ihn bei den Übungen, die ihr mittlerweile sehr vertraut waren.
Dann scheint es ihm ja gut zu gehen, dachte sie erleichtert und setzte ihren Weg in Richtung des Badepools fort.
Das Schiff ruhte, und Miri wurde wach. Sie rekelte sich, und plötzlich merkte sie, dass nicht das Fehlen des Antriebs sie aus dem Schlaf gerissen hatte, sondern etwas völlig anderes; es war der Duft nach Frühstück, der in der Luft hing, ein Aroma, das an Kaffee erinnerte und … Kaffee? Sie setzte sich auf das Sims -sie hatte es sich angewöhnt, in der Bibliothek zu schlafen; allein in dem riesengroßen Turtle-Bett zu liegen stimmte sie depressiv –, und während sie ihr Haar zu einem lockeren Zopf flocht, versuchte sie herauszufinden, ob ihre Nase recht hatte.
Es musste Kaffee sein, entschied sie. Sie ging hin, um nachzuforschen.
Mitten in dem breiten Korridor hockte Val Con im Schneidersitz vor einem tragbaren Campingofen und beobachtete den Eingang zur Bibliothek. Auf dem linken Brenner stand eine Pfanne mit Fleisch und Pfannkuchen; auf dem rechten dampfte eine Ceramkanne voller Kaffee.
»Guten Morgen, Cha’trez.«
»Morgen«, grüßte sie zurück und starrte ihn von der Tür aus verwundert an.
»Ich hoffe, du leistest mir beim Frühstück Gesellschaft.« Wie bei einem Campingausflug hatte er auf dem Fußboden alles für eine Mahlzeit vorbereitet: Teller, Trinkbecher, Papierservietten und andere Utensilien.
»Ist das richtiger Kaffee?«, fragte sie, während sie näher kam.
»Das weißt du sicher besser als ich. Ich glaube, auf dem Paket stand so etwas wie ›Echt Brasil‹.«
Sie grinste und hielt ihm einen Becher hin. »Schenk ein, verdammt noch mal.«
»Jawohl, Sergeant.« Mit einem Kopfnicken deutete er auf das Sitzkissen, das er für sie bereitgelegt hatte.
Sie setzte sich mit überkreuzten Beinen hin und
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