Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
selbst mit nach Vegas genommen haben«, sagt er bedauernd und schiebt seine Brille zurecht. »Das muss ziemlich rücksichtslos auf euch gewirkt haben, aber ich konnte die Sicherheit meiner Rebellen nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.« Sein Blick richtet sich auf June. »Und du bist das Wunderkind der Republik, nehme ich an.«
June neigt ihren Kopf auf eine Art, die unverkennbar ihre hohe Abstammung zeigt.
»Aber deine Verkleidung ist wirklich überzeugend. Ich würde gern kurz deine Identität überprüfen. Schließ die Augen.«
June zögert eine Sekunde, dann gehorcht sie.
Der Mann deutet mit der Hand auf den vorderen Teil des Raums. »Und jetzt wirf eins deiner Messer auf die Zielscheibe an der Wand.«
Ich blinzele und suche die Wände ab. Zielscheibe? Das runde Brett mit den drei Ringen gleich neben der Tür, durch die wir gekommen sind, war mir noch nicht mal aufgefallen. Aber June reagiert sofort. Sie zieht eines ihrer Messer aus dem Versteck an ihrer Taille, dreht sich um und schleudert es auf die Zielscheibe, ohne dabei ein einziges Mal die Augen zu öffnen.
Das Messer bohrt sich nur ein kleines Stückchen vom Mittelpunkt entfernt in das Holz.
Der Mann klatscht in die Hände. Selbst Kaede gibt ein anerkennendes Brummen von sich, verdreht jedoch gleich darauf die Augen. »Ach, und wenn schon«, höre ich sie murmeln.
June dreht sich wieder zu uns um und wartet darauf, dass der Mann etwas sagt.
Ich bin stumm vor Verblüffung. Noch nie in meinem Leben habe ich jemanden gesehen, der so gut mit einem Messer umgehen kann. Und obwohl June mich schon so einige Male überrascht hat mit dem, was sie alles kann, habe ich sie soeben zum ersten Mal wirklich eine Waffe benutzen sehen. Der Anblick der Klinge in der Zielscheibe jagt mir einen Schauer über den Rücken, vor Sorge und Begeisterung zugleich, und ruft Erinnerungen in mir wach, die ich vor langer Zeit in eine tiefe Truhe, ganz hinten in meinem Gedächtnis, verbannt habe – Gedanken, die ich verdrängen muss, wenn ich hier weitermachen, mich konzentrieren will.
»Freut mich, dich kennenzulernen«, sagt der Mann nun auch zu June und verschränkt die Hände hinter dem Rücken. »Und jetzt erzählt, was führt euch denn zu uns?«
June nickt mir zu, also antworte ich. »Wir brauchen eure Hilfe. Bitte. Ich bin wegen Tess hergekommen, aber ich muss auch meinen Bruder Eden finden. Ich weiß nicht, was die Republik mit ihm anstellt und wo sie ihn festhalten. Wir dachten, ihr seid wahrscheinlich die Einzigen außerhalb des Militärs, die an Informationen kommen können. Und außerdem sieht es aus, als müsste ich noch mal am Bein operiert werden.« Ich ziehe scharf die Luft ein, als der Schmerz in meiner Wunde erneut aufflammt.
Der Mann wirft einen Blick auf mein Bein; seine Stirn ist sorgenvoll gerunzelt. »Das ist ja eine ganz schöne Liste«, erwidert er. »Aber setz dich erst mal hin. Du wirkst ein bisschen unsicher auf den Beinen.« Er wartet geduldig darauf, dass ich mich in Bewegung setze, doch als ich mich nicht rühre, räuspert er sich. »Tja, ihr habt euch vorgestellt, also sollte ich es der Höflichkeit halber wohl auch tun. Mein Name ist Razor und ich bin derzeitig der Anführer der Patrioten. Ich leite die Gruppe schon seit ein paar Jahren, länger, als du Unruhe in den Straßen von Lake stiftest. Du willst also, dass wir dir helfen, Day, aber ich meine mich zu erinnern, dass du unsere Einladungen, dich uns anzuschließen, ausgeschlagen hast. Mehrmals.« Er dreht sich zu den getönten Fenstern um, von denen aus man einen Blick auf die pyramidenförmigen Landungsdocks an der Hauptstraße hat.
Die Aussicht von hier oben ist fantastisch. Hell erleuchtete Luftschiffe gleiten am Nachthimmel dahin und einige von ihnen setzen sich auf die Spitzen der Pyramiden wie perfekt passende Puzzleteile. Hin und wieder sind Formationen von Kampfjets zu sehen, schwarze, adlergleiche Silhouetten, die von den Luftschiffplattformen starten oder darauf landen. Es ist ein endloser Strom von Geschäftigkeit. Meine Augen wandern von Gebäude zu Gebäude; besonders die Pyramidendocks, mit ihren Rillen in den Seiten und den treppenartigen Vorsprüngen, wären ziemlich leicht zu erklimmen.
Dann wird mir bewusst, dass Razor eine Reaktion von mir erwartet. »Mir waren die Todesraten in eurer Organisation nicht ganz geheuer«, sage ich.
»Die scheinen dich jetzt ja nicht mehr zu stören«, entgegnet Razor und dreht sich wieder zu uns um. Seine Worte sind vorwurfsvoll,
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