Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
machen. Da soll es toll sein.«
Sie erzählt, dass die Vereinigten Staaten früher selbst einmal eine Supermacht waren. »Dann kam der Krieg«, erklärt sie, »und alle führenden Denker sind Hals über Kopf geflohen. Schuld an den ganzen Überflutungen ist übrigens die Antarktis, wusstest du das? Damals ging es sowieso schon mit allem ziemlich bergab, aber dann hat auch noch plötzlich die Sonne verrücktgespielt und das gesamte Eis der Antarktis zum Schmelzen gebracht. Das waren Wassermassen, die du und ich uns gar nicht vorstellen können. Der Klimawandel hat Millionen von Menschen das Leben gekostet. Muss ’ne ziemlich krasse Zeit gewesen sein. Nach einer Weile hat sich die Sonne dann wieder beruhigt, aber das Klima hat sich davon nie ganz erholt. Damals hat sich so viel Süßwasser mit Salzwasser vermischt, dass seitdem nichts mehr so ist, wie es mal war.«
»Komisch, in der Republik spricht nie irgendwer darüber.«
Kaede verdreht die Augen. »Na, was hast du denn erwartet? Das ist die Republik . Warum sollten sie auch?« Sie deutet auf einen kleinen Bildschirm in einer Ecke, der Nachrichten zu senden scheint. »Willst du mal sehen, wie die Republik aus der Perspektive eines Ausländers wirkt? Bitte schön.«
Als ich mich auf die Sendung konzentriere, wird mir plötzlich klar, dass die Reporterin eine Sprache spricht, die ich nicht verstehe. »Antarktisch«, merkt Kaede an, als ich ihr einen fragenden Blick zuwerfe. »Wir empfangen hier einen ihrer Sender. Lies mal die Untertitel.«
Auf dem Bildschirm ist das Luftbild eines Kontinents zu sehen, über dem der Name Republik Amerika schwebt. Die Stimme einer Frau ist zu hören, während im unteren Teil des Bildschirms eine Laufschrift die Übersetzung ihrer Worte liefert: … andere Wege gefunden werden müssen, mit diesem aggressiven Militärstaat zu verhandeln, nachdem nun ein neuer Elektor sein Amt angetreten hat. Der afrikanische Präsident Ntombi Okonjo hat heute die einstweilige Einstellung der Hilfslieferungen gefordert, die die Republik von den Vereinten Nationen empfängt, bis nachweisliche Bemühungen um einen Friedensvertrag zwischen dem isolationistischen Staat und seinem Nachbarn im Osten …
Isolationistisch. Militärstaat. Aggressiv. Ich starre auf die Worte. Mir hat sich die Republik seit jeher als Inbegriff der Macht präsentiert, eine skrupellose, unaufhaltsame Militärgewalt. Kaede grinst, als sie meinen Gesichtsausdruck sieht, und wir drehen den Bildschirmen den Rücken zu.
»Auf einmal kommt einem die Republik gar nicht mehr so mächtig vor, was? Mehr wie ein mickriger kleiner, geheimnistuerischer Haufen, der sich nur mit internationaler Hilfe durchschlägt. Ich sage dir was, Day: Damit so etwas passiert, braucht es nur eine einzige Generation, die die Bevölkerung einer Gehirnwäsche unterzieht und sie davon überzeugt, dass die Realität gar nicht existiert.«
Wir gehen zu einem Tisch mit zwei kleinen Computern. Der junge Mann, der über einen der Rechner gebeugt steht, ist derjenige, der draußen auf den Gleisen das V-Zeichen gemacht hat, der mit der dunklen Haut und den hellen Augen. Kaede legt ihm die Hand auf die Schulter. Er reagiert nicht gleich. Stattdessen tippt er noch ein paar Zeilen in irgendein geöffnetes Dokument, dann erst dreht er sich um und lässt sich dabei auf die Tischkante sinken. Ich ertappe mich dabei, wie ich ihn für seine eleganten Bewegungen bewundere. Ganz sicher ein Melder . Er verschränkt die Arme und wartet geduldig darauf, dass Kaede uns einander vorstellt.
»Day, das hier ist Pascao«, sagt sie an mich gewandt. »Pascao ist der unbestrittene Anführer unserer Melder. Er hat schon ganz ungeduldig darauf gewartet, dich endlich kennenzulernen, um es vorsichtig auszudrücken.«
Pascao streckt mir die Hand hin und seine blassen Augen sind fest auf mich gerichtet. Dann schenkt er mir ein strahlend weißes Lächeln. »Freut mich«, platzt er aufgeregt und ein bisschen atemlos heraus. Als ich zurücklächele, röten sich seine Wangen. »Wir haben ja so viel von dir gehört. Ich bin dein größter Fan. Dein allergrößter Fan.«
Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals zuvor irgendwer so offenkundig mit mir geflirtet hat, außer vielleicht ein Junge aus dem Blueridge-Sektor. »Schön, einen anderen Melder kennenzulernen«, antworte ich und ergreife seine Hand. »Von dir kann ich bestimmt noch ein paar Tricks lernen.«
Er grinst mich verschmitzt an, als er bemerkt, wie sehr er mich verunsichert hat.
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