Legend 02 - Schwelender Sturm (German Edition)
immer, mich aufzuheitern. Trotz dem, was Kaede mir gerade erzählt hat, wirkt Tess, als käme sie aus einer absolut glücklichen Familie. Eine beruhigende Wärme breitet sich in mir aus und mit einem Mal wird mir klar, wie sehr ich mich auf den Moment freue, wenn ich Tess wiedersehe. Ich gehe, wohin sie geht, und umgekehrt. Keiner ohne den anderen.
Aber was ist mit June?
Allein der Gedanke an ihren Namen lässt mir den Atem stocken. Ich schäme mich fast für meine Reaktion. Passen June und ich genauso gut zusammen?
Nein. Das ist die erste Antwort, die mir in den Sinn kommt.
Und trotzdem.
Unser Gespräch versiegt. Hin und wieder werfe ich einen Blick über die Schulter und hoffe genauso sehr, dort Licht zu sehen, wie ich mich davor fürchte. Kein Licht bedeutet, dass der Tunnel nicht unter irgendwelchen Abdeckgittern in den Straßen verläuft und somit auch für niemanden von oben einsehbar ist. Außerdem scheint der Weg leicht abzufallen. Wir bewegen uns immer tiefer und tiefer unter die Erde. Ich zwinge mich, gleichmäßig zu atmen, als der Gang enger wird und die Wände auf mich zuzurücken scheinen. Verdammter Tunnel. Was würde ich nicht dafür geben, wieder draußen im Freien zu sein.
Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis Kaede mit einem Mal abrupt stehen bleibt. Das Echo ihrer Schritte im Wasser klingt plötzlich verändert – ich glaube, wir sind vor irgendetwas Solidem angelangt. Vielleicht vor einer Mauer.
»Das hier war mal ein Bunker, in dem sich die Flüchtlinge ausruhen konnten«, murmelt sie. »Auf der anderen Seite führt der Tunnel weiter bis in die Kolonien.« Kaede versucht die Tür mithilfe eines kleinen Hebels an einer Seite zu öffnen, und als es ihr nicht gelingt, klopft sie mit den Fingerknöcheln eine komplizierte Abfolge von zehn oder elf Zeichen dagegen. »Rocket!«, ruft sie dann. Wir warten, zitternd.
Nichts.
Dann öffnet sich ein schummrig erleuchtetes kleines Rechteck in der Wand und ein gelbbraunes Augenpaar blinzelt uns entgegen. »Hi, Kaede. Das Luftschiff war also pünktlich?«, sagt das Mädchen auf der anderen Seite der Wand, bevor es mir einen misstrauischen Blick zuwirft. »Wer ist denn der?«
»Day«, erwidert Kaede. »Und jetzt hör auf mit dem Mist und lass mich rein. Ich erfriere hier.«
»Okay, okay. War ja nur ’ne Frage.« Sie mustert mich von oben bis unten. Ich bin überrascht, dass sie in dieser Finsternis überhaupt etwas sieht. Schließlich schiebt sie das kleine Rechteck wieder zu.
Ich höre ein paar Pieptöne und eine weitere Stimme. Dann gleitet die Wand zur Seite und gibt den Blick auf einen schmalen Korridor mit einer Tür am anderen Ende frei. Doch bevor einer von uns sich auch nur rühren kann, treten drei Gestalten aus dem Gang und richten ihre Waffen direkt auf unsere Köpfe.
»Los, rein«, zischt uns eine von ihnen zu. Es ist das Mädchen, das das Guckloch in der Tür geöffnet hatte. Wir gehorchen. Hinter uns schließt sich die Wand. »Passwort dieser Woche?«, fragt sie dann und lässt ihren Kaugummi knallen.
»Alexander Hamilton«, antwortet Kaede ungeduldig.
Jetzt richten sich die drei Waffen auf mich.
»Day, was?«, sagt das Mädchen. Sie macht eine kleine Kaugummiblase. »Bist du auch ganz sicher?«
Es dauert einen Moment, bis ich begreife, dass ihre zweite Frage an Kaede gerichtet ist und nicht an mich.
Kaede stößt einen genervten Seufzer aus und gibt dem Mädchen einen Klaps auf den Arm. »Ja, bin ich. Also lass endlich gut sein.«
Die Waffen senken sich. Ich stoße meinen Atem aus, den ich, ohne es zu merken, angehalten hatte. Das Mädchen, das uns reingelassen hat, bedeutet uns, zu der zweiten Tür zu gehen, und als wir dort ankommen, fährt es mit einem ähnlichen Gegenstand, wie ich ihn zuvor bei Kaede gesehen habe, an der linken Seite der Tür entlang. Wieder piept es ein paarmal.
»Geht rein«, befiehlt sie uns. Dann blickt sie mich an und reckt ihr Kinn vor. »Eine falsche Bewegung und du bist tot, bevor du auch nur blinzeln kannst.«
Die zweite Tür gleitet auf. Warme Luft schlägt uns entgegen, als wir einen großen Raum voller Leute betreten, die zwischen Tischen und an der Wand befestigten Flachbildschirmen hin und her eilen. An der Decke brennt elektrisches Licht und ein schwacher, aber durchdringender Geruch nach Moder und Rost liegt in der Luft. Es müssen zwanzig, dreißig Leute hier unten sein, doch der Raum wirkt immer noch riesig.
An eine Wand ist ein großes Symbol projiziert, das ich sofort als eine
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